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Kurt Gerstein |
Tübingen (Württemberg),
Gartenstraße 24, den 4. Mai 1945
z.Z.
Rottweil
Zur Person:
Kurt Gerstein, Bergassessor außer Dienst,
Diplom-Ingenieur, am
27. September 1936 wegen staatsfeindlicher
Betätigung aus dem Höheren Preußischen Bergdienst entfernt.
Geboren am
11. August 1905 zu
Münster
(Westfalen), Teilhaber
der Maschinenfabrik
De Limon Fluhme & Co. zu
Düsseldorf,
Industriestraße 1-17. Spezialfabrik für automatische
Schmieranlagen für Lokomotiven, Knorr- und Westinghouse-Bremsen.
Lebenslauf:
1905-1910 in
Münster (Westfalen).
1910-1919 Saarbrücken.
1919 bis 1921 Halberstadt.
1921-1925 Neuruppin
bei
Berlin. Dort
1925 Abitur am humanistischen Gymnasium.
Studien: Universität
Marburg a. Lahn
1925-1927.
Berlin 1927-1931, Technische Hochschule
Aachen 1927. Diplom-Ingenieur-
Examen
1931 in
Berlin-Charlottenburg. Seit
1925 aktives Mitglied der organisierten evangelischen Jugend (CVJM-YMCA)
und der Bibelkreise an Höheren Schulen.
Politische Betätigung: Aktiver Anhänger von
Brüning und
Stresemann. - Seit
Juni 1933 von der
Gestapo verfolgt wegen christlicher Betätigung gegen den Nazistaat. Am
2. Mai 1933
Eintritt in die NSDAP, am
2. Oktober 1936 Ausschluss aus
der NSDAP wegen staatsfeindlicher (religiöser) Betätigung
für die Bekenntniskirche. Gleichzeitig Ausschluss als Beamter
aus dem Staatsdienst. Am
30. Januar 1935 wegen Störung
einer Parteiweihefeier im Stadttheater
Hagen (Westfalen) -
Aufführung des Dramas "Wittekind" - öffentlich verprügelt
und verletzt. Am
27. November 1935 Bergassessorexamen vor
dem Wirtschaftsministerium in
Berlin, sämtliche Examen mit
Prädikat. Bis zur Verhaftung am
27. September 1936
Staatsbeamter der Saargrubenverwaltung in
Saarbrücken. Diese
erste Verhaftung erfolgte wegen Versendung von 8.500
staats(nazi)feindlichen Broschüren an sämtliche
Ministerialdirektoren und hohen Justizbeamten in
Deutschland. Einem Lieblingswunsch entsprechend,
studierte ich alsdann in
Tübingen am Deutschen Institut für
Ärztliche Mission Medizin. Dies wurde mir durch meine
wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglicht. Als Teilhaber der
Firma
De Limon Fluhme & Co. in
Düsseldorf bezog ich ein
durchschnittliches Einkommen von jährlich 10.000 Reichsmark.
Etwa ein Drittel dieses Einkommens pflegte ich für meine
religiösen Ideale auszugeben. Insbesondere habe ich rund
230.000 religiöse und nazifeindliche Broschüren drucken
lassen und dieselben auf meine Kosten versandt.
Am
14. Juli 1938 erfolgte meine zweite Verhaftung und
Einlieferung in das
Konzentrationslager Welzheim wegen
staatsfeindlicher Betätigung. Ich wurde vorher häufig von
der Gestapo verwarnt und verhört und bin mit einem Redeverbot
für das ganze Reichsgebiet belegt worden.
Als ich von der beginnenden Umbringung der Geisteskranken in
Grafeneck und
Hadamar und
andernorts hörte,
beschloß ich, auf jeden Fall den Versuch zu machen, in diese Öfen und
Kammern hineinzuschauen, um zu wissen, was dort geschieht.
Dies um so mehr, als eine angeheiratete Schwägerin -
Bertha
Ebeling - in
Hadamar zwangsgetötet wurde. Mit zwei
Referenzen der Gestapobeamten, die meine Sache bearbeiteten,
gelang es mir unschwer, in die SS einzutreten. Die Herren
waren der Ansicht, dass mein Idealismus, den sie wohl
bewunderten, der Nazisache zugute kommen müsste. Am
10. März 1941 trat ich
in die SS ein. Ich erhielt meine
Grundausbildung in
Hamburg-Langenhorn, in
Arnheim (Holland) und
in
Oranienburg. In Holland nahm ich sofort die Fühlung mit
der holländischen Widerstandsbewegung auf (Diplomingenieur
Ubbink,
Doesburg)
[
Siehe "Gerstein’s report in the Netherlands"]. Wegen meines Doppelstudiums wurde ich
bald in den technisch-ärztlichen Dienst übernommen und dem
SS-Führungshauptamt, Amtsgruppe D, Sanitätswesen der Waffen-
SS Abteilung Hygiene, zugeteilt. Die Ausbildung machte ich
mit einem Ärztekursus von 40 Ärzten. - Beim Hygienedienst
konnte ich mir meine Tätigkeit selbst bestimmen. Ich
konstruierte fahrbare und ortsfeste Desinfektionsanlagen für
die Truppe, für Gefangenenlager und Konzentrationslager.
Hiermit hatte ich unverdientermaßen große Erfolge und wurde
von da ab für eine Art technisches Genie gehalten. In der
Tat gelang es wenigstens, die schreckliche Fleckfieberwelle
von
1941 in den Lagern einigermaßen einzudämmen. Wegen
meiner Erfolge wurde ich bald Leutnant und Oberleutnant.
Weihnachten 1941 erhielt das Gericht, das meinen Ausschluss
aus der NSDAP verfügt hatte, Kenntnis von meinem Eintritt in
die SS an führender Stelle. Es folgte ein starkes
Kesseltreiben gegen mich. Aber wegen meiner großen Erfolge
und wegen meiner Persönlichkeit wurde ich von einer
Dienststelle geschützt und gehalten. Im
Januar 1942 wurde
ich Abteilungsleiter der Abteilung Gesundheitstechnik und
gleichzeitig in Doppelstellung für den gleichen Sektor vom
Reichsarzt SS und Polizei übernommen. Ich übernahm in dieser
Eigenschaft den ganzen technischen Desinfektionsdienst
einschließlich der Desinfektion mit hochgiftigen Gasen.
In dieser Eigenschaft erhielt ich am
8. Juni 1942 Besuch von
dem mir bis dahin unbekannten SS-Sturmführer
Günther vom
Reichssicherheitshauptamt
Berlin W, Kurfürstenstraße.
Günther kam in Zivil. Er gab mir den Auftrag, sofort für
einen äußerst geheimen Reichsauftrag 100 kg Blausäure zu
beschaffen und mit dieser mit einem Auto zu einem
unbekannten Ort zu fahren, der nur dem Fahrer des Wagens
bekannt sei. Wir fuhren alsdann einige Wochen später nach
Prag. Ich konnte mir ungefähr die Art des Auftrags denken,
übernahm ihn aber, weil mir hier durch Zufall sich eine von
mir seit langem ersehnte Gelegenheit ergab, in diese Dinge
hineinzuschauen. Auch war ich als Sachverständiger für
Blausäure so autoritär und kompetent, dass es mir auf jeden
Fall ein Leichtes sein musste, die Blausäure unter
irgendeinem Vorwand als untauglich - weil zersetzt oder
dergleichen - zu bezeichnen und ihre Anwendung für den
eigentlichen Tötungszweck zu verhindern. Mit uns fuhr noch -
mehr zufällig - der Professor Dr. med.
Pfannenstiel, SS-
Obersturmbannführer, Ordinarius der Hygiene an der
Universität
Marburg/Lahn.
Wir fuhren alsdann mit dem Wagen nach
Lublin, wo uns der SS-
Gruppenführer
Globocnik erwartete. In der Fabrik
in
Collin hatte ich absichtlich durchblicken lassen, dass die
Säure für die Tötung von Menschen bestimmt sei. Prompt
erschien denn auch nachmittags ein Mensch, der sich sehr
stark für das Fahrzeug interessierte und, als er bemerkt
wurde, in rasender Fahrt floh.
Globocnik sagte: Diese ganze
Angelegenheit ist eine der geheimsten Sachen, die es zur
Zeit überhaupt gibt, man kann sagen die Geheimste. Wer
darüber spricht, wird auf der Stelle erschossen. Erst
gestern seien zwei Schwätzer erschossen worden. Dann erklärte er uns:
Im Augenblick - das war am
17. August 1942 - haben wir drei
Anstalten in Betrieb, nämlich:
1.
Belzec, an der
Chaussee und Bahnstrecke Lublin-
Lemberg, an der Schnittlinie mit der Demarkationslinie mit
Russland. Höchstleistung pro Tag 15.000 Personen.
2.
Treblinka, 120 Kilometer nordöstlich von
Warschau. Höchstleistung 25.000 Personen pro Tag.
3.
Sobibor, auch in Polen, ich weiß nicht genau, wo.
20.000 Personen Höchstleistung pro Tag.
4. - Damals in Vorbereitung -
Majdanek bei Lublin.
Belzec, Treblinka und
Majdanek
habe ich persönlich eingehend
mit dem Leiter dieser Anstalten, dem Polizeihauptmann
Wirth,
zusammen besichtigt.
Globocnik wendete sich ausschließlich an mich und sagte:
"Es ist Ihre Aufgabe, insbesondere die Desinfektion
des sehr umfangreichen Textilgutes durchzuführen. Die ganze
Spinnstoffsammlung ist doch nur durchgeführt worden, um die
Herkunft des Bekleidungsmaterials für die Ostarbeiter usw.
zu erklären und als ein Ergebnis des Opfers des deutschen
Volkes darzustellen. In Wirklichkeit ist das Aufkommen
unserer Anstalten das 10-20fache der ganzen Spinnstoffsammlung."
Ich habe alsdann mit den leistungsfähigsten Firmen die
Möglichkeit, solche Textilmengen - es handelte sich allein
um einen aufgelaufenen Vorrat von etwa 40 Millionen
Kilogramm = 60 komplette Güterzüge voll - in den vorhandenen
Wäschereien und Desinfektionsanstalten zu desinfizieren,
durchgesprochen. Es war aber völlig unmöglich, so große
Aufträge unterzubringen. Ich benutzte alle diese
Verhandlungen, um die Tatsache der Judentötung in
geschickter Weise bekannt zu machen oder durchblicken zu
lassen. Es genügte
Globocnik alsdann, dass das ganze Zeug mit
etwas Detenolin übersprüht wurde, damit es wenigstens
nach Desinfektion röche. Das ist denn auch geschehen.
"Ihre andere noch weit wichtigere Aufgabe ist die Umstellung
unserer Gaskammern, die jetzt mit Dieselauspuffgasen
arbeiten, auf eine bessere und schnellere Sache. Ich denke
da vor allem an Blausäure. Vorgestern waren der Führer und
Himmler hier. Auf ihre Anweisung muss ich Sie persönlich
dorthin bringen, ich soll niemand schriftliche
Bescheinigungen und Einlasskarten ausstellen!"
Darauf fragte
Pfannenstiel: "Was hat denn der Führer gesagt?"
Glob.: "Schneller, schneller die ganze Aktion
durchführen." Sein Begleiter, der Ministerialrat Dr.
Herbert Lindner, hat dann gefragt: "Herr
Globocnik,
halten Sie es für gut und richtig, die ganzen Leichen zu
vergraben, anstatt sie zu verbrennen? Nach uns könnte eine
Generation kommen, die das Ganze nicht versteht!"
Darauf
Globocnik: "Meine Herren, wenn je nach uns eine
Generation kommen sollte, die so schlapp und so knochenweich
ist, dass sie unsere große Aufgabe nicht versteht, dann
allerdings ist der ganze Nationalsozialismus umsonst
gewesen. Ich bin im Gegenteil der Ansicht, dass man
Bronzetafeln versenken sollte, auf denen festgehalten ist,
dass wir den Mut gehabt haben, dieses große und so notwendige
Werk durch zu führen."
Darauf der Führer; "Gut,
Globocnik, das ist allerdings auch
meine Ansicht!"
Später hat sich die andere Ansicht durchgesetzt. Die Leichen
sind dann auf großen Rosten, die aus Eisenbahnschienen
improvisiert wurden, verbrannt worden unter Zuhilfenahme von
Benzin und Dieselöl.
Am anderen Tage fuhren wir nach
Belzec. Ein kleiner
Spezialbahnhof war zu diesem Zweck an einem Hügel hart
nördlich der
Chaussee Lublin-Lemberg im linken Winkel der
Demarkationslinie geschaffen worden. Südlich der Chaussee
einige Häuser mit der Inschrift "Sonderkommando Belzec der
Waffen-SS". Da der eigentliche Chef der gesamten
Tötungsanlagen, der Polizeihauptmann
Wirth, noch nicht da
war, stellte
Globocnik mich dem SS-Hauptsturmführer
Obermeyer
(aus
Pirmasens) vor. Dieser ließ mich an jenem Nachmittag
nur das sehen, was er mir eben zeigen musste. Ich sah
an diesem Tag keine Toten, nur der Geruch der ganzen Gegend
im heißen August war pestilenzartig, und Millionen von
Fliegen waren überall zugegen. Dicht bei dem kleinen
zweigleisigen Bahnhof war eine große Baracke, die sogenannte
Garderobe, mit einem großen Wertsachenschalter. Dann folgte
ein Zimmer mit etwa 100 Stühlen, der Friseurraum. Dann eine
kleine Allee im Freien unter Birken, rechts und links von
doppeltem Stacheldraht umzäunt mit Inschriften: Zu den
Inhalier- und Baderäumen! Vor uns eine Art Badehaus mit
Geranien dann ein Treppchen, und dann rechts und links je 3
Räume 5x5 Meter, 1,90 Meter hoch, mit Holztüren wie
Garagen. An der Rückwand, in der Dunkelheit nicht recht
sichtbar, große hölzerne Rampentüren. Auf dem Dach als
"sinniger, kleiner Scherz" der Davidstern. Vor dem Bauwerk
eine Inschrift:
Hackenholt-Stiftung. Mehr habe ich an jenem
Nachmittag nicht sehen können.
Am anderen Morgen kurz vor sieben kündigt man mir an: In
zehn Minuten kommt der erste Transport! Tatsächlich kam
nach einigen Minuten der erste Zug von
Lemberg aus an. 45
Waggons mit 6.700 Menschen, von denen 1.450 schon tot waren
bei ihrer Ankunft. Hinter den vergitterten Luken schauten,
entsetzlich bleich und ängstlich, Kinder durch, die Augen
voller Todesangst, ferner Männer und Frauen. Der Zug fährt
ein: 200 Ukrainer reissen die Türen auf und peitschen die
Leute mit ihren Lederpeitschen aus den Waggons heraus. Ein
großer Lautsprecher gibt die weiteren Anweisungen: Sich ganz
ausziehen, auch Prothesen, Brillen usw. Die Wertsachen am
Schalter abgeben, ohne Bons oder Quittung. Die Schuhe
sorgfältig zusammen binden (wegen der Spinnstoffsammlung),
denn in dem Haufen von reichlich 25 Meter Höhe hätte sonst
niemand die zugehörigen Schuhe wieder zusammen finden können.
Dann die Frauen und Mädchen zum Friseur, der mit zwei, drei
Scherenschlägen die ganzen Haare abschneidet und sie in
Kartoffelsäcken verschwinden lässt. "Das ist für irgendwelche
Spezialzwecke für die U-Boote bestimmt, für Dichtungen oder
dergleichen!" sagt mir der SS-Unterscharführer, der dort
Dienst tut.
Dann setzt sich der Zug in Bewegung. Voran ein bildhübsches
junges Mädchen, so gehen sie die Allee entlang, alle nackt,
Männer, Frauen, Kinder, ohne Prothesen. Ich selbst stehe mit
dem Hauptmann
Wirth oben auf der Rampe zwischen den Kammern.
Mütter mit ihren Säuglingen an der Brust, sie kommen herauf,
zögern, treten ein in die Todeskammern! - An der Ecke steht
ein starker SS-Mann, der mit pastoraler Stimme zu den Armen
sagt: "Es passiert euch nicht das Geringste! Ihr müsst nur in
den Kammern tief Atem holen, das weitet die Lungen, diese
Inhalation ist notwendig wegen der Krankheiten und Seuchen."
Auf die Frage, was mit ihnen geschehen würde, antwortet er:
"Ja, natürlich, die Männer müssen arbeiten, Häuser und
Chausseen bauen, aber die Frauen brauchen nicht zu arbeiten.
Nur wenn sie wollen, können sie im Haushalt oder in der
Küche mit helfen." - Für einige von diesen Armen ein kleiner
Hoffnungsschimmer, der ausreicht, dass sie ohne Widerstand
die paar Schritte zu den Kammern gehen - die Mehrzahl weiß
Bescheid, der Geruch kündet ihnen ihr Los! - So steigen sie
die kleine Treppe herauf, und dann sehen sie alles. Mütter
mit Kindern an der Brust, kleine nackte Kinder, Erwachsene,
Männer, Frauen, alle nackt - sie zögern, aber sie treten in
die Todeskammern, von den anderen hinter ihnen vorgetrieben
oder von den Lederpeitschen der SS getrieben. Die Mehrzahl
ohne ein Wort zu sagen. Eine Jüdin von etwa 40 Jahren, mit
flammenden Augen, ruft das Blut, das hier vergossen wird,
über die Mörder. Sie erhält 5 oder 6 Schläge mit der
Reitpeitsche ins Gesicht vom Hauptmann
Wirth persönlich,
dann verschwindet auch sie in der Kammer. Viele Menschen
beten. Ich bete mit ihnen, ich drücke mich in eine Ecke und
schreie laut zu meinem und ihrem Gott. Wie gerne wäre ich mit
ihnen in die Kammer gegangen, wie gerne wäre ich ihren Tod
mit gestorben. Sie hätten dann einen uniformierten SS-
Offizier in ihren Kammern gefunden - die Sache wäre als
Unglücksfall aufgefasst und behandelt worden, sang- und
klanglos verschollen. Noch also darf ich nicht. Ich muss noch
zuvor künden, was ich hier erlebe! - Die Kammern füllen
sich. Gut vollpacken - so hat es der Hauptmann
Wirth
befohlen. Die Menschen stehen einander auf den Füßen. 700 -
800 auf 25 Quadratmetern, in 45 Kubikmetern! Die SS zwängt
sie physisch zusammen, soweit es überhaupt geht. - Die Türen
schließen sich. Währenddessen warten die anderen draußen
im Freien, nackt. Man sagt mir: Auch im Winter genau so! Ja,
aber sie können sich ja den Tod holen, sage ich. - Ja, grad
for das sinn se ja doh! sagt mir ein SS-Mann darauf in
seinem Platt. - Jetzt endlich verstehe ich auch, warum die
ganze Einrichtung
Hackenholt-Stiftung heißt.
Hackenholt ist
der Chauffeur des Dieselmotors, ein kleiner Techniker,
gleichzeitig der Erbauer der Anlage. Mit den
Dieselauspuffgasen sollen die Menschen zu Tode gebracht
werden. Aber der Diesel funktioniert nicht! Der Hauptmann
Wirth kommt. Man sieht, es ist ihm peinlich, dass das gerade
heute passieren muss, wo ich hier bin. Jawohl, Ich sehe
alles! Und ich warte. Meine Stoppuhr hat alles brav
registriert. 50 Minuten, 70 Minuten [?] - der Diesel springt
nicht an! Die Menschen warten in ihren Gaskammern.
Vergeblich! Man hört sie weinen, schluchzen ... Der
Hauptmann
Wirth schlägt mit seiner Reitpeitsche den
Ukrainer, der dem Unterscharführer
Hackenholt beim Diesel
helfen soll, 12, 13 mal ins Gesicht. Nach zwei Stunden 49
Minuten - die Stoppuhr hat alles wohl registriert - springt
der Diesel an. Bis zu diesem Augenblick leben die Menschen
in diesen 4 Kammern, viermal 750 Menschen in 4 mal 45
Kubikmetern! - Von neuem verstreichen 25 Minuten. Richtig,
viele sind jetzt tot. Man sieht das durch das kleine
Fensterchen, in dem das elektrische Licht die Kammern einen
Augenblick beleuchtet. Nach 28 Minuten leben nur noch
wenige. Endlich, nach 32 Minuten, ist alles tot!
Von der anderen Seite öffnen Männer vom Arbeitskommando die
Holztüren. Man hat ihnen - selbst Juden - die Freiheit
versprochen und einen gewissen Promillesatz von allen
gefundenen Werten für ihren schrecklichen Dienst. Wie
Basaltsäulen stehen die Toten aufrecht aneinander gepresst in
den Kammern. Es wäre auch kein Platz hinzufallen oder auch
nur sich vornüber zu neigen. Selbst im Tode noch kennt man
die Familien. Sie drücken sich, im Tode verkrampft, noch die
Hände, so dass man Mühe hat, sie auseinander reissen, um die
Kammern für die nächste Charge frei zu machen. Man wirft die
Leichen nass von Schweiß und Urin, kotbeschmutzt,
Menstruationsblut an den Beinen, heraus. Kinderleichen
fliegen durch die Luft. Man hat keine Zeit. Die
Reitpeitschen der Ukrainer sausen auf die Arbeitskommandos.
Zwei Dutzend Zahnärzte öffnen mit Haken den Mund und sehen
nach Gold. Gold links, ohne Gold rechts. Andere Zahnärzte
brechen mit Zangen und Hämmern die Goldzähne und Kronen aus
den Kiefern.
Unter allen springt der Hauptmann
Wirth herum. Er ist in
seinem Element. Einige Arbeiter kontrollieren Genitalien und
After nach Gold, Brillanten und Wertsachen.
Wirth ruft mich
heran: "Heben Sie mal diese Konservenbüchse mit Goldzähnen,
das ist nur von gestern und vorgestern!" In einer
unglaublich gewöhnlichen und falschen Sprechweise sagt er zu
mir: "Sie glauben gar nicht, was wir jeden Tag finden an
Gold und Brillanten" - er sprach es mit zwei L - "und
Dollar. Aber schauen Sie selbst!" Und nun führte er mich zu
einem Juwelier, der alle diese Schätze zu verwalten hatte,
und ließ mich dies alles sehen. Man zeigte mir dann noch
einen früheren Chef des
Kaufhauses des Westens in
Berlin und
einen Geiger: Das ist ein Hauptmann von der alten
Kaiserlich-Königlich österreichischen Armee, Ritter des
Eisernen Kreuzes 1. Klasse, der jetzt Lagerältester beim
jüdischen Arbeitskommando ist! - Die nackten Leichen wurden
auf Holztragen nur wenige Meter weit in Gruben von 100 x 20
x 12 Meter geschleppt. Nach einigen Tagen gärten die Leichen
hoch und fielen alsdann kurze Zeit später stark zusammen, so
dass man eine neue Schicht auf dieselben draufwerfen konnte.
Dann wurden zehn Zentimeter Sand darüber gestreut, so dass
nur noch vereinzelte Köpfe und Arme heraus ragten. - Ich sah
an einer solchen Stelle Juden in den Gräbern auf den Leichen
herumklettern und arbeiten. Man sagte mir, dass versehentlich
die tot Angekommenen eines Transportes nicht entkleidet
worden seien. Dies müsste natürlich wegen der Spinnstoffe und
Wertsachen, die sie sonst mit ins Grab nähmen, nachgeholt
werden. Weder in
Belzec noch in
Treblinka hat man sich
irgendeine Mühe gegeben, die Getöteten zu registrieren oder
zu zählen. Die Zahlen waren nur Schätzungen nach dem
Waggoninhalt ... - Der Hauptmann
Wirth bat mich, in
Berlin
keine Änderungen seiner Anlagen vorzuschlagen und alles so
zu lassen, wie es wäre und sich bestens eingespielt und
bewährt habe. Die Blausäure habe ich unter meiner Aufsicht
vergraben lassen, da sie angeblich in Zersetzung geraten
sei.
Am anderen Tage - dem
19. August 1942 - fuhren wir mit dem
Auto des Hauptmanns
Wirth nach
Treblinka,
120 km NNO von
Warschau. Die Einrichtung war etwa dieselbe, nur viel größer
als in
Belzec. Acht Gaskammern und wahre Gebirge von
Koffern, Textilien und Wäsche. Zu unseren Ehren wurde im
Gemeinschaftssaal im typisch Himmlerschen altdeutschen Stil
ein Bankett gegeben. Das Essen war einfach, aber es stand
alles in jeder Menge zur Verfügung.
Himmler hatte selbst
angeordnet, daß die Männer dieser Kommandos soviel Fleisch,
Butter und sonstiges erhielten, insbesondere Alkohol, wie sie wollten.
Wir fuhren dann mit dem Auto nach
Warschau. Dort traf ich,
als ich vergeblich ein Schlafwagenbett zu erhalten
versuchte, im Zug den Sekretär der Schwedischen
Gesandtschaft in
Berlin, Baron
von Otter.
Ich habe, noch
unter dem frischen Eindruck der entsetzlichen Erlebnisse,
diesem alles erzählt mit der Bitte, dies seiner Regierung
und den Alliierten sofort zu berichten, da jeder Tag
Verzögerung weiteren Tausenden und Zehntausenden das Leben
kosten müsse. Er bat mich um eine Referenz, als welche ich
ihm Herrn Generalsuperintendenten Dr.
Otto Dibelius,
Berlin, Brüderweg 2, Lichterfelde-West, angab, einen
vertrauten Freund des Pfarrers
Martin Niemöller und Mitglied
der kirchlichen Widerstandsbewegung gegen den Nazismus. Ich
traf dann Herrn
von Otter noch zweimal in der Schwedischen
Gesandtschaft. Er hatte inzwischen nach
Stockholm berichtet
und teilte mir mit, dass dieser Bericht erheblichen Einfluss
auf die schwedisch-deutschen Beziehungen gehabt habe. Ich
versuchte, in gleicher Sache dem Päpstlichen Nuntius in
Berlin Bericht zu erstatten. Dort wurde ich gefragt, ob ich
Soldat sei. Daraufhin wurde jede weitere Unterhaltung mit
mir abgelehnt, und ich wurde zum Verlassen der Botschaft
seiner Heiligkeit aufgefordert. Beim Verlassen der
Päpstlichen Botschaft wurde ich von einem Polizisten mit dem
Rade verfolgt, der kurz an mir vorbeifuhr, abstieg, mich
dann aber völlig unbegreiflicherweise laufen ließ. Ich habe
dann alles dies Hunderten von Persönlichkeiten berichtet, u.
a. dem Syndikus des katholischen Bischofs von
Berlin, Herrn
Dr.
Winter, mit der ausdrücklichen Bitte um Weitergabe an
den päpstlichen Stuhl. Ich muss noch hinzufügen, dass der SS-
Sturmbannführer
Günther vom Reichssicherheitshauptamt - ich
glaube, er ist der Sohn des Rassen-Günther -
Anfang 1944
nochmals sehr große Mengen Blausäure von mir verlangte für
einen sehr dunklen Zweck. Er zeigte mir in der
Kurfürstenstraße in
Berlin
einen Schuppen, in dem er die
Blausäure zu lagern gedachte. Ich erklärte ihm darauf, dass
ich dafür ausgeschlossenerweise die Verantwortung übernehmen
könne. Es handelte sich um mehrere Waggons, genug, um viele
Millionen Menschen damit umzubringen. Er sagte mir, dass er
selbst noch nicht wisse, ob das Gift gebraucht würde, wann,
für wen, auf welche Weise usw. Aber es müsse ständig
verfügbar gehalten werden. Ich habe später oft an die Worte
von
Goebbels denken müssen. Ich kann mir denken, dass sie
einen großen Teil des deutschen Volkes töten wollten, sicher
einschließlich der Pfarrerschaft oder der missliebigen
Offiziere. Das sollte in einer Art Lesesälen oder Klubräumen
geschehen, soviel entnahm ich den Fragen der technischen
Durchführung, die
Günther an mich richtete. Es kann auch
sein, dass er die Fremdarbeiter umbringen sollte oder
Kriegsgefangene - ich weiss es nicht. Auf jeden Fall richtete
ich es so ein, dass die Blausäure sofort nach ihrer Ankunft
in den beiden
Konzentrationslagern Oranienburg und
Auschwitz
für irgendwelche Zwecke der Desinfektion verschwand. Das war
etwas gefährlich für mich, aber ich hätte einfach sagen
können, dass das Gift sich bereits in einer gefährlichen
Zersetzung befunden habe. Ich bin sicher, daß
Günther das
Gift beschaffen wollte, um Millionen Menschen eventuell
umzubringen. Es reichte für etwa 8 Millionen Menschen, 8.500
Kilogramm. Über 2.175 Kilogramm habe ich die Rechnungen
eingereicht. Die Rechnungen ließ ich stets auf meinen Namen
umstellen, angeblich wegen der Diskretion, in Wahrheit, um
in meiner Verfügung freier zu sein und um das Gift
verschwinden lassen zu können. Vor allem vermied ich es,
durch Vorlage von Rechnungen die Sache immer wieder in
Erinnerung zu bringen, sondern ließ die Rechnungen lieber
völlig unbezahlt unter Vertröstung der Firma" ...
Ich habe es im übrigen vermieden, allzu oft in
Konzentrationslagern zu erscheinen, denn es war manchmal
üblich, zu Ehren der Besucher Leute aufzuhängen oder
Exekutionen vorzunehmen.
Alle meine Angaben sind wörtlich wahr. Ich bin mir der
ausserordentlichen Tragödie dieser meiner Aufzeichnungen vor
Gott und der gesamten Menschheit voll bewusst und nehme es
auf meinen Eid, dass nichts von allem, was ich registriert
habe, erdichtet oder erfunden ist, sondern alles sich genau
so verhält.
Orthografische Verbesserungen durch ARC
© ARC 2005