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Belzec Lagergeschichte

Letztes Update 26. August 2006





Das Vernichtungslager Belzec lag im südöstlichen Teil des Bezirkes Lublin, nahe Belzec, einem kleinen Dorf an der Eisenbahnstrecke Lublin - Lviv. Im Frühjahr 1940 errichteten die Nazis eine Anzahl von Arbeitslagern, in denen vorwiegend jüdische Arbeiter untergebracht waren, die an einer Befestigung gegen die sowjetischen Truppen arbeiteten, der sogenannten "Otto-Linie". Diese Lager wurden im Oktober 1940 aufgelöst.

Das Vernichtungslager entstand nicht aus einer bereits vorhandenen Einrichtung, sondern wurde unabhängig errichtet auf einer Lichtung an der Nordseite eines Hügels, nur zum Zwecke der Vernichtung von Juden.

Belzec Gemälde #1

Am 1. November 1941 begannen die Nazis mit dem Bau des Lagers. Es wurde ca. 400 m entfernt vom Bahnhof Belzec errichtet, direkt an einem Nebengleis der Bahnlinie Lublin - Lviv.
SS-Hauptsturmführer Richard Thomalla von der SS Zentralbauleitung Zamosc überwachte die Bauarbeiten. Der direkte Aufseher war ein unbekannter, rothaariger Mann, genannt "der Meister". Gut bezahlte polnische Facharbeiter aus Belzec und Umgebung bauten die Gaskammern und die Baracken (Browning: "The origins of the final solution", S. 419 - 421). Später wurden sie ersetzt durch Juden aus den nahe gelegenen Dörfern Lubycza Krolewska und Mosty Maly. Ende Februar 1942 waren die Bauarbeiten beendet. Phase I begann.

Das Lager befand sich auf einer relativ kleinen Fläche von ca. 275 x 265 m. Ein bereits vorhandener Holzhof wurde ins Lager integriert. Ein doppelter Zaun aus Maschendraht und Stacheldraht umgab das Lager. Der äußere Zaun wurde mit Kiefernzweigen getarnt. Während der späteren Umorganisation des Lagers wurde der Zwischenraum mit Stacheldrahtrollen ausgefüllt. Auf der Ostseite des Lagers, an einem Abhang, sollte die Flucht durch einen Bretterzaun verhindert werden. Eine Reihe Bäume wurde zwischen dem westlichen Zaun und der Eisenbahnlinie gepflanzt.
An den nordöstlichen und südöstlichen Ecken des Lagers wurden Wachttürme gebaut, mit zwei weiteren dazwischen. Der südöstliche Turm wurde auf einem Bunker errichtet, der an der höchsten Stelle des Lagers lag, und das gesamte Lager übersah. In der zweiten Phase des Lagers wurde ein weiterer Turm am Ende der Rampe gebaut. Schließlich baute man noch einen Wachtturm in der Mitte des Lagers. Dieser gab einen Überblick über die gesamte Länge des "Schlauchs" (der getarnte Weg zu den Gaskammern). Die Wachttürme waren bemannt mit Trawnikimännern (Volksdeutsche vom SS-Ausbildungslager Trawniki, die mit Gewehren bewaffnet waren. Auf dem Turm im Mittelpunkt des Lagers befand sich ein Maschinengewehr und ein Suchscheinwerfer.
Ein 200 m langes Bahngleis verlief durch das Lagertor an der nordwestlichen Seite. Ein zweites, inneres Tor befand sich an der Abzweigung der beiden im Lager befindlichen Gleise.

Das Lager war in zwei Teile gegliedert:
Lager I, im nördlichen und westlichen Teil, war der "Empfangsbereich". Hier befand sich die alte Rampe mit einer Kapazität von 10-15 Güterwagen (1. Phase). Das in der 1. Phase nicht benutzte Gleis wurde in der 2. Phase genutzt, so dass insgesamt 40 Güterwagen gleichzeitig "abgefertigt" werden konnten. Ein eingezäunter Hof am Ende der neuen Rampe diente dazu, überzählige Menschen eines großen Transportes vorübergehend aufzunehmen. In der 2. Phase des Lagers dienten zwei Baracken (eine für Frauen und Kinder, die andere für Männer) zum Entkleiden der Opfer.
Die ukrainischen Wachmannschaften wohnten in zwei größeren Baracken und einer kleineren. Die erste der größeren Baracken war Wohnquartier der Trawnikimänner, die zweite beinhaltete das Krankenrevier, den Zahnarzt und den Frisör. Die kleinere Baracke diente als Küche und Essraum.
Lager II, der Schauplatz der eigentlichen Vernichtung, beinhaltete die Gaskammern und die großen Massengräber mit einer ungefähren Größe von 20 x 30 x 6 m. Die Massengräber lagen nordöstlich, östlich und südlich der Rampen. Die neueren Gaskammern befanden sich hinter einem Baumbestand, vor den Blicken der Dorfbewohner geschützt, denn das Lager lag auf einer Anhöhe.
Die "Schleuse" verlief durch diesen Baumbestand. Die Gaskammern waren mit Netzen vor der feindlichen Luftaufklärung getarnt. Im Lager II befanden sich noch die Baracken für das jüdische Sonderkommando und eine Küche.

Lager I und II waren durch einen getarnten Zaun mit zwei Toren getrennt, eines östlich der Garage, das andere in der Nähe des Rampenendes. Von dort führte ein Pfad bergauf durch den Wald, nach der Erschießungsgrube.
Ein 2 m breiter und 100 m langer Pfad, genannt "die Schleuse", war auf beiden Seiten mit 3 m hohem, getarntem Stacheldraht versehen. Er verband die Entkleidungsbaracken in Lager I mit den Gaskammern in Lager II.
Der polnische Arbeiter Stanislaw Kozak, der an den ersten Gaskammern mitgebaut hat, beschreibt ihre Konstruktion sowie die Errichtung von zwei anderen Baracken:
"Wir bauten Baracken in der Nähe des Abzweiggleises der Bahnlinie. Eine Baracke, nahe der Bahn, war 50 m lang und 12,5 m breit. Eine zweite Baracke, 25 m lang und 12,5 m breit, war für die Juden bestimmt, für das "Bad". Nicht weit entfernt von dieser Baracke bauten wir eine dritte, 12 m lang und 8 m breit. Diese Baracke wurde mit hölzernen Wänden unterteilt in drei Gaskammern, so dass jede Gaskammer 4 m breit und 8 m lang war. Die Höhe betrug 2 m. Die Innenwände dieser Baracke bestanden aus doppelten Wänden, deren Zwischenraum mit Sand gefüllt war und die mit Pappe und Zinkblechen bis 1,10 m Höhe verkleidet waren.
Von der zweiten zur dritten Baracke verlief ein geschlossener Korridor, 2 m breit, 2 m hoch und 10 m lang. Dieser Korridor traf auf einen Flur in der dritten Baracke, von dem die drei Türen zu den Gaskammern abgingen. Jede dieser Gaskammern hatte auf der Nordseite eine doppelte Tür, 1,80 m hoch und 1,10 m breit. Sowohl diese Außentüren als auch die Flurtüren waren mit Gummidichtungen abgedichtet. Alle diese Türen konnten nur von außen geöffnet werden. Sie wurden aus 7,5 cm dicken Holzbalken gebaut. Von außen waren sie mit einem Holzbalken verriegelt, der auf zwei Eisenwinkeln gelagert war. In jeder dieser Gaskammern war ein Wasserrohr installiert, etwa 10 cm über dem Boden. Zusätzlich war an der Westseite jeder Gaskammer ein in 1 m Höhe verlaufendes Wasserrohr eingebaut, das eine Öffnung hatte zur Mitte der Kammer. Diese Leitungen kamen aus der Wand und waren verbunden mit einem unter dem Boden verlaufenden Rohr. In jeder Gaskammer war ein 250 kg schwerer Ofen. Wir nahmen an, dass die Rohre später mit den Öfen verbunden werden sollten. Die Öfen waren 1,10 m hoch, 0,55 m breit und 0,55 m lang.
"

Die beschriebenen Öfen wurden benutzt, um die Gaskammern aufzuheizen, damit die Kammern in der kalten Jahreszeit erwärmt werden konnten. Die höhere Raumtemperatur unterstützte die tödliche Wirkung des Gases.
Die Gaskammern waren nichts anderes als Holzbaracken, als Duschräume getarnt. Falsche Duschköpfe, die zuvor von Fuchs ohne Erfolg angebracht worden waren, wurden später neu installiert. Hinweisschilder auf die "Baderäume" wurden angebracht, zur Täuschung der Opfer.
Trotz aller Anstrengungen waren die Nazis nicht in der Lage, die Gaskammern luftdicht abzuschließen. Nach Werner Dubois musste bei jeder Vergasung Sand gegen die Außentüren geschaufelt werden, um das Gas in den Kammern zu halten. Nach der Vergasung musste der Sand wieder weg geschaufelt werden, um an die Leichen zu kommen. Daher wurde bald nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht, auch weil die Gaskammern sich als zu klein erwiesen.

Belzec Gemälde #2

Die SS war in zwei Backsteingebäuden gegenüber des Bahnhofes untergebracht, in der Tomaszowska Straße. Der Kommandant Christian Wirth nahm Quartier in dem dem Lager am nächsten gelegenen Haus. Die normalen SS-Männer wohnten im Nachbarhaus. Die Gebäude waren mit einem Holzzaun umgeben. Stacheldraht sicherte die Gebäude von drei Seiten, außer an der Straßenseite. Wachtposten sicherten die Eingänge.
Gegenüber der Kommandantur lag ein hölzerner Pavillion, der der Lagerverwaltung als Büro diente. Hier waren Hering und Fichtner untergebracht. Links der Kommandantur lag eine Baracke, in der T4-Männer des Euthanasia-Programms untergebracht waren, die im Juli 1942 eintrafen.
Kurz vor Weihnachten 1941 traf Christian Wirth ein, SS-Obersturmführer der Stuttgarter Kriminalpolizei. Mit ihm kamen einige weitere SS-Männer. Sie wurden von SS-Oberscharführer Josef Oberhauser und Gottfried Schwarz empfangen, die schon seit Beginn der Bauarbeiten in Belzec waren.
Zwischen Februar und März 1942 unternahmen Wirth und Dr. Helmuth Kallmayer, T4-Chemiker aus Berlin, verschiedene Tests zur Toxizität von Abgasen eines russischen Panzermotors. Während dieser Zeit wurden weitere Versuche unternommen, überwacht von Wirth, SS-Oberscharführer Lorenz Hackenholt und SS-Scharführer Siegfried Graetschus. Sie bauten schließlich einen Postwagen zu einer fahrbaren Gaskammer aus.
Franz Suchomel, SS-Mann aus Treblinka, bezeichnete Belzec als Laboratorium.
Wirth unternahm verschiedene Versuche, um die zur Vernichtung bestimmten Juden möglichst schnell umbringen zu können. Er entwickelte ein grundliegendes Konzept für die Tötung der Opfer und die Lagerstruktur. Sein Ziel war es, den Opfern die Ankunft in einem Durchgangslager vorzuspiegeln, von dem sie nach anderen Arbeitslagern weiter transportiert werden würden. Die Opfer sollten dies glauben, bis zur Einschließung in den als Baderäumen getarnten Gaskammern. Eine weiteres wichtiges Prinzip war die möglichst schnelle Verrichtung des Tötungsprozesses: Die Opfer sollten laufen, keine Zeit haben sich umzusehen, nachzudenken, und schließlich nach Luft ringend das tödliche Gas einatmen.
Nach Wirths Vernichtungsschema sollten die Juden alle physische Arbeit selbst erledigen. In der ersten Phase bestand das jüdische Arbeitskommando aus ca. 100-150 Männern, in der zweiten Phase sogar 500 Männern in Lager I und II. Ihre Aufgabe bestand darin, die Leichen aus den Gaskammern zu holen und zu vergraben. Sie mussten auch Kleidung, Koffer und sonstige Utensilien der Opfer sammeln und sortieren. In der ersten Phase wurden diese Arbeiter nach wenigen Tagen umgebracht. Nach Juli 1942 richtete Wirth dauerhafte Arbeitskommandos ein, in denen jeder Jude seinen Aufgabenbereich genau kannte. So lief der Vernichtungsprozess reibungsloser.

Christian Wirth leitete das Lager mit Furcht und Terror. Er wurde "der wilde Christian" genannt. Die Ukrainer nannten ihn "Stuka" (Stuka = Sturzkampfbomber).
Gottfried Schwarz war stellvertretender Lagerkommandant. SS-Oberscharführer Johann Niemann war verantwortlich für Lager II, den Vernichtungsbereich. Während der ersten Phase wurde er nach Sobibor versetzt, wo er bei der Revolte umkam. Josef Oberhauser nahm Wirths Position ein, wenn dieser abwesend war. Beide zusammen suchten die passenden "Trawnikimänner" für den Dienst in Belzec aus.
SS-Scharführer Lorenz Hackenholt beaufsichtigte die zwei Ukrainer, die die Motoren der Vergasungsanlage bedienten. Schwarz und Niemann überwachten die Arbeit an den Gaskammern in der ersten Phase. Werner Dubois oder Karl Schluch taten dies in der zweiten Phase.
Ab Juli 1942 beaufsichtigte SS-Unterscharführer Heinrich Unverhau das Sortieren der Habseligkeiten der Opfer im nahe gelegenen Lokschuppen. Er war Nachfolger von Rudi Kamm, der hier in der ersten Phase tätig war. Vom Lokschuppen aus wurden die sortierten Güter nach den Lagerhäusern in Lublin geschickt, die Odilo Globocnik unterstanden.
Die "Trawnikimänner" wurden von Gottfried Schwarz kommandiert. In der ersten Phase waren es 60-70 Männer, später 120 in zwei Kompanien. Sie waren in vier Einheiten eingeteilt, jeweils drei im Dienst, eine im Urlaub (am Ort). Ausbilder dieser Männer waren Kurt Franz, Dubois, Feix und Jirmann.
Die Einheiten wurden geführt von Volksdeutschen, oft ehemalige Soldaten der Sowjetarmee. Dienstbezeichnung: Hauptzugwachmann und Zugwachmann.
Die Ukrainer nahmen vorwiegend Wachaufgaben ein: Am Lagertor, auf den Wachttürmen, auf Patrouille. Einige von ihnen halfen beim Betrieb der Gaskammern.
Vor der Ankunft eines Transportes postierten sich die Ukrainer an der Rampe, an den Entkleidungsbaracken und entlang des "Schlauches". Während der experimentellen Vergasungen und der ersten Transporte mussten sie auch die Vergasten aus den Gaskammern entfernen und begraben.

Ab Mitte März 1942 war Belzec bereit, den ersten Transport aufzunehmen (Phase I).

Am Abend des 16. März 1942 begannen Massenaktionen im Lublin Ghetto. Die SS und ukrainische Trawnikimänner nahmen 1.400 Juden fest. Diese wurden während der Nacht in einer Synagoge untergebracht. Am nächsten Morgen mussten die Juden nach dem 3 km entfernten Schlachthof in der Nähe des Bahnhofes marschieren. Dort wurden sie in 19 Güterwagen verladen. Am Morgen des 17. März 1942 verließ der Transport Lublin, um die Juden nach Belzec zu bringen. Diesen Transport überlebte niemand.
Bis Ende März 1942 lagen über 20.000 Juden in den Massengräbern von Belzec. Im April 1942 wurden weitere 10.000 Juden nach Belzec deportiert.
In Belzec kamen die Transporte aus zwei Richtungen an: dem Distrikt Lublin und dem östlichen Galizien (Transporte aus dem Ghetto Lviv ab März bis August 1942).
Der erste Transport aus Zolkiew (Bezirk Lviv), einer Stadt 50 km südöstlich von Belzec, kam am 25. oder 26. März 1942 an. Innerhalb von drei Wochen nach diesem ersten Transport kamen ca. 30.000 Juden in Belzec an. Unter ihnen 15.000 Juden aus Lviv (im Rahmen der sogenannten "März-Aktion"), 5.000 aus Stanislawow, 5.000 aus dem Kolomyja Ghetto und anderen aus Drogobych und Rawa Ruska.

Belzec Gemälde #3

Die in Belzec ankommenden Transporte unterlagen einer strikten Ordnung. Die Wagen wurden in Gruppen von 20 eingeteilt und ins Lager verschoben. Zu spät ankommende Transporte mussten über Nacht vor dem Lager warten.
Der Lokführer der ins Lager fahrenden Lokomotive war Reichsbahnsekretär Rudolf Gockel (deutscher Bahnhofsvorsteher in Belzec). Polnische Bahnarbeiter bezeichneten ihn als grausam und sadistisch.

Die ankommenden Juden hatten ersten Kontakt mit der SS auf dem "Empfangsplatz". Verwirrte und Ängstliche wurden aussortiert und nach den Erschießungsgruben im Lager II gebracht. Dort wurden sie durch Genickschuss mit einer Kleinkaliberpistole umgebracht. Das Lagerorchester spielte dazu.
Die SS versuchte, die Deportierten mit freundlichen Reden zu beruhigen. Wirth oder auch Jirmann begrüßten die Juden per Lautsprecher: "Dies ist Belzec. Ihr Aufenthalt ist nur vorübergehend. Sie werden weiter transportiert in Arbeitslager, wo Ihre Fähigkeiten gebraucht werden. Dort ist Arbeit für jeden. Sogar Hausfrauen werden gebraucht um die Häuser zu versorgen. Ich brauche Ihre Kooperation, um Sie schnell Ihrer Bestimmung zuzuführen!". Eine Welle von Applaus folgte, und Rufe wie "Danke Ihnen, Kommandant!".
Dann kam Wirth auf den entscheidenden Punkt: "Wir brauchen Ordnung und Sauberkeit, bevor Sie versorgt werden. Alle müssen baden und die Kleidung desinfizieren lassen. Die Frauen müssen ihre Haare abschneiden lassen". Damit überließ Wirth den weiteren Prozess seinen Untergebenen.
Die Männer wurden aufgefordert ihre Schuhe auszuziehen, sie zusammenzubinden und den jüdischen Arbeitern auszuhändigen. Jeweils 750 Männer marschierten dann Richtung "Schleuse", wobei sie an verschiedenen Stellen ihre Habseligkeiten an die SS abliefern mussten. Schließlich waren sie nackt und ohne jegliche Habe am Anfang der "Schleuse".
Am Ende des "Schlauches" trieben Ukrainer mit Schlägen und Bajonetten die Juden in die Gaskammern und verschlossen die Türen. Mit dem Signal des diensthabenden SS-Scharführers wurde der Vergasungs-Motor gestartet. Nach ca. 20 Minuten bestätigte der Blick durch ein Guckloch in der Gaskammertür, dass der Motor abgeschaltet werden konnte.
Die SS hatte ihren Teil beigetragen, nun übernahm das jüdische Sonderkommando die Arbeit, überwacht von Zugführer Moniek. Die Männer öffneten die Außentüren der Gaskammern, zogen die Leichen mit Riemen heraus und brachten sie zu Loren, die sie nach den Massengräbern transportierten. Jeder Körper wurde nach Wertsachen untersucht und alle Goldzähne extrahiert, bevor die Körper in den Massengräbern verschwanden. Inzwischen hatte ein anderes Kommando die Gaskammern zu säubern. Andere reinigten die "Schleuse".
Chaim Hirszman erinnerte sich:
"Ein Transport mit Kindern bis zu 3 Jahre alt kam an. Die Arbeiter mussten ein großes Loch graben, in das die Kinder hinein geworfen und lebendig begraben wurden. Ich kann nicht vergessen wie sich die Erde bewegte, bis die Kinder erstickt waren."

Im April 1942 besuchte Franz Stangl das Lager, um sich als zukünftiger Kommandant von Sobibor über den Vernichtungsprozess zu informieren. Wirth hielt sich gerade bei den Massengräbern auf. Stangl war entsetzt beim Anblick der riesigen, mit Leichen gefüllten Gruben:
Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie das war. Ich fuhr mit dem Auto hin. Bei der Ankunft sah man zuerst den Belzecer Bahnhof auf der linken Seite der Straße. Das Lager lag auf der gleichen Seite, aber auf einem Hügel. Die Kommandantur war auf der anderen Seite der Straße, 200 m entfernt. Es war ein einstöckiges Gebäude. Der Gestank... oh mein Gott, der Gestank. Er war überall. Wirth war nicht in seinem Büro. Ich erinnere mich, dass sie mich zu ihm brachten. Er stand auf einem Hügel, neben den Gruben... die Gruben...voll...sie waren voll. Ich kann es Ihnen nicht sagen: nicht Hunderte, Tausende, Tausende von Leichen...mein Gott. Dort hat Wirth es mir gesagt - er sagte, dass es das war, wofür Sobibor bestimmt war. Und dass er mich offiziell mit der Leitung beauftrage."
Stangls zweite Version dieses Besuchs:
Wirth war nicht in seinem Büro, und man sagte mir, er sei im Lager. Ich habe gefragt, ob ich hinaufgehen sollte, aber da hat einer gesagt: "Das würde ich nicht tun, wenn ich Sie wäre, er wütet da oben, und da ist es ungesund in seiner Nähe". Ich fragte, was los sei. "Bei uns ist eine Grube übergegangen", sagte der in Wirths Büro. Sie hatten zu viele Leichen hineingelegt, und die Verwesung war so weit fortgeschritten, dass unten alles flüssig wurde. Die Leichen sind übergequollen, aus der Grube hinaus - und den Hang hinuntergerollt. Ich habe da welche gesehen - mein Gott, es war fürchterlich. Ein bisschen später kam dann der Wirth herunter. Und da hat er es mir gesagt...
(Quelle: Sereny, Gitta. Am Abgrund: Gespräche mit dem Henker, R. Piper GmbH & Co. KG, München, 1995.)

Um Mitte April 1942 schloss Wirth das Lager für weitere Transporte und reiste nach Berlin, in Begleitung seines Stellvertreters Schwarz und dem Vergasungsexperten Hackenholt. Das gesamte jüdische Arbeitskommando wurde erschossen.
In Berlin besprach man die Vergrößerung des Lagers und den Bau größerer Gaskammern, denn die zunehmenden Transporte hatten inzwischen die Kapazität der drei hözernen Gaskammern überfordert. Gleich nach Wirths Rückkehr riss man die alten Gaskammern ab und errichtete ein größeres Gebäude. Das neue Gebäude war 24 m lang und 10m breit. Jede der 6 Gaskammern hatte eine Fläche von 4 x 8 m (einige Quellen sprechen von 4 x 5 m). Mitte Juli 1942 waren die Gaskammern einsatzbereit. Phase II begann.
Nach Rudolf Reder, einem der wenigen Juden, die Belzec überlebt haben, war das Gaskammergebäude sehr niedrig und aus Beton. Das Flachdach war mit Dachpappe bedeckt und mit einem Netz getarnt, in das Zweige verwoben waren. Drei 1m breite Treppenstufen ohne Geländer führten ins Gebäude. Am Eingang stand ein großer Blumentopf mit Geranien. Ein Schild sollte die Menschen täuschen: "Bade- und Inhalationsräume" war darauf zu lesen. Ein weiteres Schild mit der Aufschrift "Stiftung Hackenholt" war zynischerweise dem Erbauer der Gaskammern, Lorenz Hackenholt, gewidmet. Die Gaskammern lagen 1,5 m über dem Erdboden.
Die Treppe führte in einen langen, dunklen, 1,5 m breiten und höchstens 2 m hohen Flur. Rechts und links die stabilen, 1m breiten Holztüren zu den Gaskammern. Die Gaskammern hatten ebenfalls eine Deckenhöhe von maximal 2 m, damit das Luftvolumen möglichst gering war. So verlief der Vergasungsprozess schneller. Falsche Brauseköpfe an den Decken sollten Duschräume vortäuschen.
An der Außenseite jeder Gaskammer befand sich eine 2 m breite, stabile Klapptür aus Holz. In Phase II zwängte man so viele Menschen in jede Kammer, dass man Wasser auf die Leichen schütten musste um sie schneller auseinander ziehen zu können. Mit Lederbändern, die um Hand- und Fußgelenke der Leichen gelegt wurden, holte das Sonderkommando die Opfer aus den Gaskammern und übergaben sie dem Transportkommando.
An der Stirnseite des Gebäudes befand sich der Motorraum (2 x 2 m), von dem aus die Abgase eines Benzinmotors durch Wasserrohre nach den Gaskammern geleitet wurden.

Ende August 1942 wurde Christian Wirth zum Inspekteur aller Aktion Reinhard Lager ernannt und durch SS-Hauptsturmführer Gottlieb Hering ersetzt. Beide kannten sich gut seit ihrem Dienst bei der Kriminalpolizei Stuttgart. Hering galt bei den Juden in Belzec als wesentlich humaner als Wirth.

Belzec Gemälde #4

Das Maximum der "Umsiedlungstransporte" nach Belzec fand von Juli bis Oktober 1942 statt. Täglich kamen drei bis vier Transportzüge an, unter oft grauenhaften Bedingungen. Wolken von Fliegen hatten die Güterwagen auf der langen Fahrt begleitet. Nun stürzten sie sich auf das, was die geöffneten Wagentüren zum Vorschein brachten: Abgemagerte, halb Verdurstete und entkräftete Menschen, in Verwesung übergegangene Leichen, Ausscheidungen. Wer zu schwach war um den Weg in die Gaskammern anzutreten, wurde bei den Leichenhaufen abgelegt.
SS-Scharführer Robert Jührs wurde von Hering angewiesen, diese noch lebenden Juden nach Lager II zu bringen, für "eine Pille" (Genickschuss).

Im März 1943 wurde SS-Oberscharführer Jirmann von SS-Oberscharführer Gley versehentlich erschossen. Dieser verwechselte in der Dunkelheit Jirmann mit einem von zwei wegen Diebstahls inhaftierten Ukrainern. Wirth, Hering und Oberhauser orneten eine eingehende Untersuchung an. Im Gegensatz zu Hunderttausenden von Juden fand Jirmann seine letzte Ruhe nicht in einem Massengrab, sondern auf dem deutschen Militärfriedhof in Tomaszow Lubelski.

Im Oktober 1942 besuchte Reichsführer-SS Heinrich Himmler das Lager. Er wurde begleitet von SS-Gruppenführer Katzmann (Aussage Reder).

Im September 1942 wurden SS-Obersturmführer Kurt Gerstein und SS-Standartenführer Wilhelm Pfannenstiel (beide SS-Führungshauptamt, Amtsgruppe D, Sanitätswesen der Waffen-SS, Abteilung Hygiene) beauftragt, Zyklon B für die Entlausung von Kleidung und den Einsatz bei der Vernichtung von Juden zu testen. Gerstein beging später Selbstmord in einem französischen Gefängnis, hat jedoch eine detaillierte Beschreibung seines Besuches in Belzec hinterlassen (Gerstein-Bericht).

Die drohende Niederlage der deutschen Truppen an der Ostfront bewog Himmler, die Verwischung aller Spuren des Massenmordes in den besetzten Gebieten anzuordnen. Er beauftragte Paul Blobel, hierfür ein Spezialkommando einzurichten, das "Sonderkommando 1005".
Am 11. Dezember 1942 traf der letzte Transport in Belzec ein. Mit Hochdruck wurde inzwischen die Enterdung der Leichen betrieben. Sie wurden aus alten Massengräbern herausgeholt und verbrannt. Dies wurde allerdings nicht vom "Sonderkommando 1005" durchgeführt, dem der Zugang zu den Lagern der Aktion Reinhard verwehrt wurde. Die SS zwang die Arbeitsjuden in Belzec, dies zu tun.
Gottlieb Hering beauftragte die SS-Scharführer Gley und Tauscher mit der beschleunigten Vernichtung aller Spuren. Ein Bagger zog die Leichen aus den Massengräbern. Juden des "Sonderkommandos" errichteten Scheiterhaufen, verbrannten die Körper und schütteten die Asche wieder in die Gruben. Eine Knochenmühle aus dem Arbeitslager Janowska zermalmte die übrig gebliebenen größeren Knochen. Ein gewisser "Szpilke" soll sie bedient haben. Die Verbrennungsroste bestanden aus normalen Eisenbahnschienen, die auf Betonpfeilern ruhten. Stücke der noch vorhandenen Schmalspurschienen (Schmalspurbahn zum Leichentransport) wurden quer über die Schienen gelegt, um ein enges, haltbares Rost zu schaffen. Schweröl diente zum beschleunigten Verbrennen.
3-4 Scheiterhaufen (einige Einwohner Belzecs sprechen von 5) wurden ab Anfang November 1942 errichtet und waren bis März 1943 ständig in Betrieb.
Zwischen 434.000 and 500.000 Körper wurden in Belzec verbrannt. Für Monate lag die gesamte Gegend unter einer fettigen, stinkenden, schwarzen Wolke. Die Einwohner des Dorfes Belzec kratzten menschliches Fett von ihren Fensterscheiben.

Als die Verbrennungen ihrem Ende nahten, verließ Lagerführer Hering Belzec. Fritz Tauscher war nun verantwortlich für die endgültige Liquidierung des Lagers.
Im Frühling 1943 waren alle Spuren verwischt. Noch brauchbare Materialien wurden nach Majdanek gebracht. Das Gelände wurde mit Fichten, Tannen und Lupinen bepflanzt. Wirths Haus und das benachbarte Gebäude, in dem die SS-Männer untergebracht waren, stehen allerdings heute noch, weil sie vor dem Krieg Eigentum der Polnischen Staatsbahn waren. Andere Spuren des Lagers sind auf unserer Foto-Seite abgebildet.

Die verbliebenen 300 Männer des Sonderkommandos wurden schließlich nach Sobibor gebracht. Hering sagte den jüdischen Kapos, sie würden nach Lublin gebracht. In ihren Eisenbahnwagen seien Eßtische, Brot für drei Tage, Konserven und Wodka.
Leon Feldhendler, jüdischer Gefangener aus Sobibor, sagte aus:
"Am 30. Juni 1943 traf ein Transport mit den letzten Juden aus Belzec ein, bewacht von SS-Unterscharführer Paul Groth. Alle sollten erschossen werden. Während sie ausgeladen wurden, rannten die Juden in allen Richtungen davon. Im ganzen Lager wurden sie nach und nach erschossen."

Nach dem Abzug der SS-Mannschaft, die auf andere Lager verteilt wurde, tauchte die Bevölkerung der benachbarten Dörfer auf dem Lagergelände auf um nach Gold und anderen Wertsachen zu suchen. Bei den nun folgenden Ausgrabungen wurden auch Leichenteile an die Erdoberfläche befördert. Diese wilde Suche nach Wertsachen wurde entdeckt von SS-Oberscharführer Dubois, der einige Tage später aus Sobibor zurück kam. Nach Besprechung mit seinen Vorgesetzten wurde entschieden, einen Bauernhof auf dem Gelände zu errichten. Eine ukrainische Bauernfamilie sollte hier dafür sorgen, dass weitere Grabungen nicht mehr möglich sind.
Im Sommer 1943 trafen zwei kleinere SS-Kommandos aus Sobibor und Treblinka in Belzec ein, um diese Aufgabe zu realisieren. Die Treblinka-Gruppe wurde geleitet von SS-Scharführer Schiffner, die Sobibor-Gruppe von Heinrich Unverhau.
Ein Bauernhaus vom anderen Ende des Dorfes wurde beschlagnahmt, abgebaut und als Wohnhaus der ukrainischen Familie auf dem Lagergelände wieder aufgebaut.
Im Sommer 1944 wurde die Gegend von sowjetischen Truppen erobert. Nach der Befreiung wurde der Bauernhof von der Ortsbevölkerung zerstört.

Etwa 50 Juden konnten aus Belzec flüchten. Eine unbekannte Anzahl von Verschleppten konnte vor Ankunft im Lager von den Zügen springen. Am Ende des Krieges gab es nur 7 Überlebende.

Zwei Berichte über jüdischen Widerstand sind erhalten. Ein Bericht beschreibt einen Angriff des "Sonderkommandos" auf die ukrainischen Wachen im Juni 1942.

Quellen:
Encyclopaedia of The Holocaust
Arad. Belzec, Sobibor and Treblinka
Robin O'Neil. Belzec & The Destruction of Galician Jewry
Michael Tregenza. Belzec Death Camp
Rudolf Reder. Belzec
Sir Martin Gilbert.

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