Das Vernichtungslager Belzec lag im südöstlichen Teil des Bezirkes
Lublin,
nahe Belzec, einem kleinen Dorf an der Eisenbahnstrecke
Lublin -
Lviv. Im
Frühjahr 1940 errichteten die Nazis
eine Anzahl von
Arbeitslagern, in denen vorwiegend jüdische
Arbeiter untergebracht waren, die an einer Befestigung gegen die sowjetischen Truppen arbeiteten, der sogenannten
"Otto-Linie". Diese Lager wurden
im
Oktober 1940 aufgelöst.
Das Vernichtungslager entstand nicht aus einer bereits vorhandenen Einrichtung, sondern
wurde unabhängig errichtet auf einer Lichtung an der Nordseite eines Hügels, nur zum Zwecke der
Vernichtung von Juden.
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Belzec Gemälde #1 |
Am
1. November 1941 begannen die Nazis mit dem Bau des Lagers.
Es wurde ca. 400 m entfernt vom Bahnhof Belzec errichtet, direkt an einem Nebengleis der Bahnlinie
Lublin -
Lviv.
SS-Hauptsturmführer Richard Thomalla
von der
SS Zentralbauleitung Zamosc überwachte die Bauarbeiten. Der direkte
Aufseher war ein unbekannter, rothaariger Mann, genannt "der Meister". Gut bezahlte polnische Facharbeiter
aus Belzec und Umgebung bauten die Gaskammern und die Baracken (Browning: "The origins of the final solution",
S. 419 - 421). Später wurden sie ersetzt durch Juden aus den nahe gelegenen Dörfern
Lubycza Krolewska und
Mosty Maly.
Ende Februar 1942 waren die Bauarbeiten beendet.
Phase I begann.
Das Lager befand sich auf einer relativ kleinen Fläche von ca. 275 x 265 m. Ein bereits
vorhandener Holzhof wurde ins Lager integriert. Ein doppelter Zaun aus Maschendraht und Stacheldraht
umgab das Lager. Der äußere Zaun wurde mit Kiefernzweigen getarnt. Während der späteren
Umorganisation des Lagers wurde der Zwischenraum mit Stacheldrahtrollen ausgefüllt.
Auf der Ostseite des Lagers, an einem Abhang, sollte die Flucht durch einen Bretterzaun verhindert werden.
Eine Reihe Bäume wurde zwischen dem westlichen Zaun und der Eisenbahnlinie gepflanzt.
An den nordöstlichen und südöstlichen Ecken des Lagers wurden Wachttürme gebaut,
mit zwei weiteren dazwischen. Der südöstliche Turm wurde auf einem Bunker errichtet, der
an der höchsten Stelle des Lagers lag, und das gesamte Lager übersah.
In der zweiten Phase des Lagers wurde ein weiterer Turm am Ende der Rampe gebaut. Schließlich
baute man noch einen Wachtturm in der Mitte des Lagers. Dieser gab einen Überblick über
die gesamte Länge des "Schlauchs" (der getarnte Weg zu den Gaskammern).
Die Wachttürme waren bemannt mit
Trawnikimännern (
Volksdeutsche vom SS-Ausbildungslager
Trawniki, die mit Gewehren bewaffnet waren. Auf dem Turm im
Mittelpunkt des Lagers befand sich ein Maschinengewehr und ein Suchscheinwerfer.
Ein 200 m langes Bahngleis verlief durch das Lagertor an der nordwestlichen Seite. Ein zweites, inneres Tor
befand sich an der Abzweigung der beiden im Lager befindlichen Gleise.
Das Lager war in zwei Teile gegliedert:
Lager I, im nördlichen und westlichen Teil, war der "Empfangsbereich". Hier befand sich
die alte Rampe mit einer Kapazität von 10-15 Güterwagen (1. Phase). Das in der 1. Phase
nicht benutzte Gleis wurde in der 2. Phase genutzt, so dass insgesamt 40 Güterwagen
gleichzeitig "abgefertigt" werden konnten. Ein eingezäunter Hof am Ende der neuen Rampe
diente dazu, überzählige Menschen eines großen Transportes vorübergehend aufzunehmen.
In der 2. Phase des Lagers dienten zwei Baracken (eine für Frauen und Kinder, die andere
für Männer) zum Entkleiden der Opfer.
Die ukrainischen Wachmannschaften wohnten in zwei größeren Baracken und einer kleineren.
Die erste der größeren Baracken war Wohnquartier der
Trawnikimänner,
die zweite beinhaltete das Krankenrevier, den Zahnarzt und den Frisör. Die kleinere Baracke
diente als Küche und Essraum.
Lager II, der Schauplatz der eigentlichen Vernichtung, beinhaltete die Gaskammern und die großen
Massengräber mit einer ungefähren Größe von 20 x 30 x 6 m. Die Massengräber
lagen nordöstlich, östlich und südlich der Rampen. Die neueren Gaskammern befanden sich
hinter einem Baumbestand, vor den Blicken der Dorfbewohner geschützt, denn das Lager lag auf einer
Anhöhe.
Die "Schleuse" verlief durch diesen Baumbestand. Die Gaskammern waren mit Netzen vor der feindlichen
Luftaufklärung getarnt. Im Lager II befanden sich noch die Baracken für das jüdische
Sonderkommando und eine Küche.
Lager I und II waren durch einen getarnten Zaun mit zwei Toren getrennt, eines östlich
der Garage, das andere in der Nähe des Rampenendes. Von dort führte ein Pfad
bergauf durch den Wald, nach der Erschießungsgrube.
Ein 2 m breiter und 100 m langer Pfad, genannt "die Schleuse", war auf beiden Seiten
mit 3 m hohem, getarntem Stacheldraht versehen. Er verband die Entkleidungsbaracken in Lager I
mit den Gaskammern in Lager II.
Der polnische Arbeiter
Stanislaw Kozak, der an den ersten Gaskammern mitgebaut
hat, beschreibt ihre Konstruktion sowie die Errichtung von zwei anderen Baracken:
"
Wir bauten Baracken in der Nähe des Abzweiggleises der Bahnlinie. Eine Baracke, nahe
der Bahn,
war 50 m lang und 12,5 m breit. Eine zweite Baracke, 25 m lang und 12,5 m breit, war für die Juden
bestimmt, für das "Bad". Nicht weit entfernt von dieser Baracke bauten wir eine dritte, 12 m lang
und 8 m breit. Diese Baracke wurde mit hölzernen Wänden unterteilt in drei Gaskammern, so dass
jede Gaskammer 4 m breit und 8 m lang war. Die Höhe betrug 2 m. Die Innenwände dieser
Baracke bestanden aus doppelten Wänden, deren Zwischenraum
mit Sand gefüllt war und die mit Pappe und Zinkblechen bis 1,10 m Höhe verkleidet waren.
Von der zweiten zur dritten Baracke verlief ein geschlossener Korridor, 2 m breit, 2 m hoch und 10 m lang.
Dieser Korridor traf auf einen Flur in der dritten Baracke, von dem die drei Türen zu den
Gaskammern abgingen. Jede dieser Gaskammern hatte auf der Nordseite eine doppelte Tür, 1,80 m hoch
und 1,10 m breit. Sowohl diese Außentüren als auch die Flurtüren waren mit
Gummidichtungen abgedichtet. Alle diese Türen konnten nur von außen geöffnet werden.
Sie wurden aus 7,5 cm dicken Holzbalken gebaut. Von außen waren sie mit einem Holzbalken verriegelt,
der auf zwei Eisenwinkeln gelagert war. In jeder dieser Gaskammern war ein Wasserrohr installiert, etwa
10 cm über dem Boden. Zusätzlich war an der Westseite jeder Gaskammer ein in 1 m Höhe
verlaufendes Wasserrohr eingebaut, das eine Öffnung hatte zur Mitte der Kammer. Diese Leitungen kamen
aus der Wand und waren verbunden mit einem unter dem Boden verlaufenden Rohr. In jeder Gaskammer
war ein 250 kg schwerer Ofen. Wir nahmen an, dass die Rohre später mit den Öfen verbunden werden sollten.
Die Öfen waren 1,10 m hoch, 0,55 m breit und 0,55 m lang."
Die beschriebenen Öfen wurden benutzt, um die Gaskammern aufzuheizen, damit die Kammern in der kalten
Jahreszeit erwärmt werden konnten. Die höhere Raumtemperatur unterstützte die tödliche
Wirkung des Gases.
Die Gaskammern waren nichts anderes als Holzbaracken, als Duschräume getarnt. Falsche Duschköpfe,
die zuvor von
Fuchs ohne Erfolg angebracht worden waren, wurden später
neu installiert. Hinweisschilder auf die "Baderäume" wurden angebracht, zur Täuschung der Opfer.
Trotz aller Anstrengungen waren die Nazis nicht in der Lage, die Gaskammern luftdicht abzuschließen.
Nach
Werner Dubois musste bei jeder Vergasung Sand gegen die
Außentüren geschaufelt werden, um das Gas in den Kammern zu halten. Nach der Vergasung musste
der Sand wieder weg geschaufelt werden, um an die Leichen zu kommen. Daher wurde bald nach
Verbesserungsmöglichkeiten gesucht, auch weil die Gaskammern sich als zu klein erwiesen.
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Belzec Gemälde #2 |
Die SS war in zwei Backsteingebäuden gegenüber des Bahnhofes untergebracht,
in der
Tomaszowska Straße. Der Kommandant
Christian Wirth nahm Quartier in dem dem Lager am nächsten
gelegenen Haus. Die normalen SS-Männer wohnten im Nachbarhaus. Die Gebäude waren mit einem Holzzaun umgeben.
Stacheldraht sicherte die Gebäude von drei Seiten, außer an der Straßenseite. Wachtposten
sicherten die Eingänge.
Gegenüber der Kommandantur lag ein hölzerner Pavillion, der der Lagerverwaltung als
Büro diente. Hier waren
Hering und
Fichtner untergebracht. Links der Kommandantur lag eine
Baracke, in der T4-Männer des
Euthanasia-Programms untergebracht waren, die im
Juli 1942 eintrafen.
Kurz vor
Weihnachten 1941 traf
Christian Wirth
ein,
SS-Obersturmführer der
Stuttgarter Kriminalpolizei. Mit ihm
kamen einige weitere SS-Männer. Sie wurden von
SS-Oberscharführer
Josef Oberhauser und
Gottfried Schwarz
empfangen, die schon seit Beginn der Bauarbeiten in Belzec waren.
Zwischen
Februar und März 1942 unternahmen
Wirth und Dr.
Helmuth Kallmayer,
T4-Chemiker aus
Berlin, verschiedene Tests zur Toxizität von Abgasen eines
russischen Panzermotors. Während dieser Zeit wurden weitere Versuche unternommen, überwacht von
Wirth,
SS-Oberscharführer Lorenz
Hackenholt und
SS-Scharführer Siegfried Graetschus.
Sie bauten schließlich einen Postwagen zu einer fahrbaren Gaskammer aus.
Franz Suchomel, SS-Mann aus
Treblinka, bezeichnete Belzec als Laboratorium.
Wirth unternahm verschiedene Versuche, um die zur Vernichtung
bestimmten Juden möglichst schnell umbringen zu können. Er entwickelte ein grundliegendes
Konzept für die Tötung der Opfer und die Lagerstruktur. Sein Ziel war es, den Opfern
die Ankunft in einem Durchgangslager vorzuspiegeln, von dem sie nach anderen Arbeitslagern weiter
transportiert werden würden. Die Opfer sollten dies glauben, bis zur Einschließung in
den als Baderäumen getarnten Gaskammern. Eine weiteres wichtiges Prinzip war die möglichst
schnelle Verrichtung des Tötungsprozesses: Die Opfer sollten laufen, keine Zeit haben sich
umzusehen, nachzudenken, und schließlich nach Luft ringend das tödliche Gas einatmen.
Nach
Wirths Vernichtungsschema sollten die Juden alle physische
Arbeit selbst erledigen. In der ersten Phase bestand das jüdische Arbeitskommando aus ca.
100-150 Männern, in der zweiten Phase sogar 500 Männern in Lager I und II.
Ihre Aufgabe bestand darin, die Leichen aus den Gaskammern zu holen und zu vergraben. Sie mussten
auch Kleidung, Koffer und sonstige Utensilien der Opfer sammeln und sortieren. In der ersten Phase
wurden diese Arbeiter nach wenigen Tagen umgebracht. Nach
Juli 1942
richtete
Wirth dauerhafte Arbeitskommandos ein, in denen jeder
Jude seinen Aufgabenbereich genau kannte. So lief der Vernichtungsprozess reibungsloser.
Christian Wirth leitete das Lager mit Furcht und Terror. Er wurde
"der wilde Christian" genannt. Die Ukrainer nannten ihn "Stuka" (Stuka = Sturzkampfbomber).
Gottfried Schwarz war stellvertretender Lagerkommandant.
SS-Oberscharführer Johann Niemann war verantwortlich
für Lager II, den Vernichtungsbereich. Während der ersten Phase wurde er nach
Sobibor versetzt, wo er bei der Revolte umkam.
Josef Oberhauser nahm
Wirths Position ein,
wenn dieser abwesend war. Beide zusammen suchten die passenden "Trawnikimänner" für den Dienst in Belzec aus.
SS-Scharführer Lorenz Hackenholt beaufsichtigte die
zwei Ukrainer, die die Motoren der Vergasungsanlage bedienten.
Schwarz
und
Niemann überwachten die Arbeit an den Gaskammern in der
ersten Phase.
Werner Dubois oder
Karl Schluch
taten dies in der zweiten Phase.
Ab
Juli 1942 beaufsichtigte
SS-Unterscharführer
Heinrich Unverhau das Sortieren der Habseligkeiten der Opfer im
nahe gelegenen Lokschuppen. Er war Nachfolger von
Rudi Kamm,
der hier in der ersten Phase tätig war. Vom Lokschuppen aus wurden die sortierten Güter
nach den Lagerhäusern in
Lublin geschickt, die
Odilo Globocnik unterstanden.
Die "Trawnikimänner" wurden von
Gottfried Schwarz
kommandiert. In der ersten Phase waren es 60-70 Männer, später 120 in zwei Kompanien. Sie waren
in vier Einheiten eingeteilt, jeweils drei im Dienst, eine im Urlaub (am Ort). Ausbilder dieser
Männer waren
Kurt Franz,
Dubois, Feix
und Jirmann.
Die Einheiten wurden geführt von
Volksdeutschen, oft ehemalige Soldaten der Sowjetarmee.
Dienstbezeichnung:
Hauptzugwachmann und
Zugwachmann.
Die Ukrainer nahmen vorwiegend Wachaufgaben ein: Am Lagertor, auf den Wachttürmen, auf Patrouille.
Einige von ihnen halfen beim Betrieb der Gaskammern.
Vor der Ankunft eines Transportes postierten sich die Ukrainer an der Rampe, an den Entkleidungsbaracken
und entlang des "Schlauches". Während der experimentellen Vergasungen und der ersten Transporte
mussten sie auch die Vergasten aus den Gaskammern entfernen und begraben.
Ab
Mitte März 1942 war Belzec bereit, den ersten
Transport aufzunehmen (Phase I).
Am Abend des
16. März 1942 begannen Massenaktionen im
Lublin Ghetto. Die SS und ukrainische
Trawnikimänner nahmen 1.400 Juden fest. Diese wurden
während der Nacht in einer Synagoge untergebracht. Am nächsten Morgen mussten die Juden
nach dem 3 km entfernten Schlachthof in der Nähe des Bahnhofes marschieren. Dort wurden sie
in 19 Güterwagen verladen. Am Morgen des
17. März 1942
verließ der Transport
Lublin, um die Juden nach Belzec zu bringen. Diesen
Transport überlebte niemand.
Bis
Ende März 1942 lagen über 20.000 Juden in den
Massengräbern von Belzec. Im
April 1942 wurden weitere
10.000 Juden nach Belzec deportiert.
In Belzec kamen die Transporte aus zwei Richtungen an: dem Distrikt
Lublin und dem
östlichen
Galizien (Transporte aus dem
Ghetto Lviv ab
März bis August 1942).
Der erste Transport aus
Zolkiew (Bezirk Lviv), einer Stadt 50 km
südöstlich von Belzec, kam am
25. oder 26. März 1942 an.
Innerhalb von drei Wochen nach diesem ersten Transport kamen ca. 30.000 Juden in Belzec an.
Unter ihnen 15.000 Juden aus
Lviv (im Rahmen der sogenannten "März-Aktion"),
5.000 aus
Stanislawow, 5.000 aus dem
Kolomyja Ghetto und anderen aus
Drogobych und
Rawa Ruska.
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Belzec Gemälde #3 |
Die in Belzec ankommenden Transporte unterlagen einer strikten Ordnung.
Die Wagen wurden in Gruppen von 20 eingeteilt und ins Lager verschoben.
Zu spät ankommende Transporte mussten über Nacht vor dem Lager warten.
Der Lokführer der ins Lager fahrenden Lokomotive war
Reichsbahnsekretär
Rudolf Gockel (deutscher Bahnhofsvorsteher in Belzec).
Polnische Bahnarbeiter bezeichneten ihn als grausam und sadistisch.
Die ankommenden Juden hatten ersten Kontakt mit der SS auf dem "Empfangsplatz".
Verwirrte und Ängstliche wurden aussortiert und nach den Erschießungsgruben im Lager II
gebracht. Dort wurden sie durch Genickschuss mit einer Kleinkaliberpistole umgebracht. Das
Lagerorchester spielte dazu.
Die SS versuchte, die Deportierten mit freundlichen Reden zu beruhigen.
Wirth
oder auch
Jirmann begrüßten die Juden per Lautsprecher:
"Dies ist Belzec. Ihr Aufenthalt ist nur vorübergehend. Sie werden weiter transportiert in Arbeitslager,
wo Ihre Fähigkeiten gebraucht werden. Dort ist Arbeit für jeden. Sogar Hausfrauen werden gebraucht um
die Häuser zu versorgen. Ich brauche Ihre Kooperation, um Sie schnell Ihrer Bestimmung zuzuführen!".
Eine Welle von Applaus folgte, und Rufe wie "Danke Ihnen, Kommandant!".
Dann kam
Wirth auf den entscheidenden Punkt: "Wir brauchen Ordnung
und Sauberkeit, bevor Sie versorgt werden. Alle müssen baden und die Kleidung desinfizieren lassen.
Die Frauen müssen ihre Haare abschneiden lassen". Damit überließ
Wirth den weiteren Prozess seinen Untergebenen.
Die Männer wurden aufgefordert ihre Schuhe auszuziehen, sie zusammenzubinden und den jüdischen
Arbeitern auszuhändigen. Jeweils 750 Männer marschierten dann Richtung "Schleuse", wobei sie
an verschiedenen Stellen ihre Habseligkeiten an die SS abliefern mussten. Schließlich waren sie
nackt und ohne jegliche Habe am Anfang der "Schleuse".
Am Ende des "Schlauches" trieben Ukrainer mit Schlägen und Bajonetten die Juden in die Gaskammern
und verschlossen die Türen. Mit dem Signal des diensthabenden
SS-Scharführers wurde
der Vergasungs-Motor gestartet. Nach ca. 20 Minuten bestätigte der Blick durch ein Guckloch in
der Gaskammertür, dass der Motor abgeschaltet werden konnte.
Die SS hatte ihren Teil beigetragen, nun übernahm das jüdische Sonderkommando die Arbeit,
überwacht von
Zugführer Moniek.
Die Männer öffneten die Außentüren der Gaskammern, zogen die Leichen mit Riemen
heraus und brachten sie zu Loren, die sie nach den Massengräbern transportierten. Jeder Körper
wurde nach Wertsachen untersucht und alle Goldzähne extrahiert, bevor die Körper in den
Massengräbern verschwanden. Inzwischen hatte ein anderes Kommando die Gaskammern zu säubern.
Andere reinigten die "Schleuse".
Chaim Hirszman erinnerte sich:
"
Ein Transport mit Kindern bis zu 3 Jahre alt kam an. Die Arbeiter mussten ein großes
Loch graben, in das die Kinder hinein geworfen und lebendig begraben wurden. Ich kann nicht vergessen wie sich die
Erde bewegte, bis die Kinder erstickt waren."
Im
April 1942 besuchte
Franz Stangl
das Lager, um sich als zukünftiger Kommandant von
Sobibor über den
Vernichtungsprozess zu informieren.
Wirth hielt sich gerade bei den
Massengräbern auf.
Stangl war entsetzt beim Anblick der riesigen, mit Leichen
gefüllten Gruben:
Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie das war. Ich fuhr mit dem Auto hin. Bei der Ankunft sah man
zuerst den Belzecer Bahnhof auf der linken Seite der Straße. Das Lager lag auf der gleichen Seite, aber auf
einem Hügel. Die Kommandantur war auf der anderen Seite der Straße, 200 m entfernt. Es war ein
einstöckiges Gebäude. Der Gestank... oh mein Gott, der Gestank. Er war überall.
Wirth war nicht in seinem Büro. Ich erinnere mich, dass sie mich zu ihm brachten.
Er stand auf einem Hügel, neben den Gruben... die Gruben...voll...sie waren voll. Ich kann es Ihnen nicht sagen:
nicht Hunderte, Tausende, Tausende von Leichen...mein Gott. Dort hat Wirth es mir
gesagt - er sagte, dass es das war, wofür Sobibor bestimmt war. Und dass er mich
offiziell mit der Leitung beauftrage."
Stangls zweite Version dieses Besuchs:
Wirth war nicht in seinem Büro, und man sagte mir,
er sei im Lager. Ich habe gefragt, ob ich hinaufgehen sollte, aber da hat einer gesagt: "Das würde ich nicht tun,
wenn ich Sie wäre, er wütet da oben, und da ist es ungesund in seiner Nähe". Ich fragte, was los sei.
"Bei uns ist eine Grube übergegangen", sagte der in Wirths Büro. Sie hatten
zu viele Leichen hineingelegt, und die Verwesung war so weit fortgeschritten, dass unten alles flüssig wurde. Die
Leichen sind übergequollen, aus der Grube hinaus - und den Hang hinuntergerollt. Ich habe da welche gesehen - mein
Gott, es war fürchterlich. Ein bisschen später kam dann der Wirth herunter.
Und da hat er es mir gesagt...
(Quelle:
Sereny, Gitta.
Am Abgrund: Gespräche mit dem Henker,
R. Piper GmbH & Co. KG, München, 1995.)
Um
Mitte April 1942 schloss
Wirth
das Lager für weitere Transporte und reiste nach
Berlin, in Begleitung seines
Stellvertreters
Schwarz und dem Vergasungsexperten
Hackenholt.
Das gesamte jüdische Arbeitskommando wurde erschossen.
In
Berlin besprach man die Vergrößerung des Lagers und den Bau
größerer Gaskammern,
denn die zunehmenden Transporte hatten inzwischen die Kapazität der drei hözernen
Gaskammern überfordert. Gleich nach
Wirths Rückkehr
riss man die alten Gaskammern ab und errichtete ein größeres Gebäude.
Das
neue Gebäude war 24 m lang und 10m breit. Jede der
6 Gaskammern hatte eine Fläche von 4 x 8 m (einige Quellen sprechen von 4 x 5 m).
Mitte Juli 1942 waren die Gaskammern einsatzbereit.
Phase II begann.
Nach
Rudolf Reder, einem der wenigen Juden, die Belzec überlebt haben,
war das Gaskammergebäude sehr niedrig und aus Beton. Das Flachdach war mit Dachpappe bedeckt und mit einem
Netz getarnt, in das Zweige verwoben waren. Drei 1m breite Treppenstufen ohne Geländer führten ins
Gebäude. Am Eingang stand ein großer Blumentopf mit Geranien. Ein Schild sollte die Menschen
täuschen: "Bade- und Inhalationsräume" war darauf zu lesen. Ein weiteres Schild mit der Aufschrift
"Stiftung Hackenholt" war zynischerweise dem Erbauer der Gaskammern,
Lorenz Hackenholt, gewidmet. Die Gaskammern lagen 1,5 m über dem Erdboden.
Die Treppe führte in einen langen, dunklen, 1,5 m breiten und höchstens 2 m hohen Flur.
Rechts und links die stabilen, 1m breiten Holztüren zu den Gaskammern. Die Gaskammern hatten ebenfalls
eine Deckenhöhe von maximal 2 m, damit das Luftvolumen möglichst gering war. So verlief der
Vergasungsprozess schneller. Falsche Brauseköpfe an den Decken sollten Duschräume vortäuschen.
An der Außenseite jeder Gaskammer befand sich eine 2 m breite, stabile Klapptür aus Holz. In Phase II
zwängte man so viele Menschen in jede Kammer, dass man Wasser auf die Leichen schütten musste um sie
schneller auseinander ziehen zu können. Mit Lederbändern, die um Hand- und Fußgelenke der Leichen
gelegt wurden, holte das Sonderkommando die Opfer aus den Gaskammern und übergaben sie dem Transportkommando.
An der Stirnseite des Gebäudes befand sich der Motorraum (2 x 2 m), von dem aus die Abgase eines
Benzinmotors durch Wasserrohre nach den Gaskammern geleitet wurden.
Ende August 1942 wurde
Christian Wirth
zum Inspekteur aller
Aktion Reinhard Lager ernannt und durch
SS-Hauptsturmführer Gottlieb Hering ersetzt. Beide kannten sich gut
seit ihrem Dienst bei der Kriminalpolizei
Stuttgart.
Hering galt bei den Juden in Belzec als wesentlich humaner als
Wirth.
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Belzec Gemälde #4 |
Das Maximum der "Umsiedlungstransporte" nach Belzec fand von
Juli bis Oktober 1942
statt. Täglich kamen drei bis vier Transportzüge an, unter oft grauenhaften Bedingungen.
Wolken von Fliegen hatten die Güterwagen auf der langen Fahrt begleitet. Nun stürzten sie sich auf das,
was die geöffneten Wagentüren zum Vorschein brachten: Abgemagerte, halb Verdurstete und entkräftete
Menschen, in Verwesung übergegangene Leichen, Ausscheidungen. Wer zu schwach war um den Weg in die Gaskammern
anzutreten, wurde bei den Leichenhaufen abgelegt.
SS-Scharführer Robert Jührs wurde von
Hering angewiesen, diese noch lebenden Juden nach Lager II zu bringen,
für "eine Pille" (Genickschuss).
Im
März 1943 wurde
SS-Oberscharführer
Jirmann von
SS-Oberscharführer
Gley versehentlich erschossen. Dieser verwechselte in der Dunkelheit
Jirmann mit einem von zwei wegen Diebstahls inhaftierten Ukrainern.
Wirth, Hering und Oberhauser orneten eine eingehende Untersuchung an.
Im Gegensatz zu Hunderttausenden von Juden fand
Jirmann seine letzte Ruhe
nicht in einem Massengrab, sondern auf dem deutschen Militärfriedhof in
Tomaszow Lubelski.
Im
Oktober 1942 besuchte
Reichsführer-SS
Heinrich Himmler das Lager.
Er wurde begleitet von
SS-Gruppenführer Katzmann
(Aussage
Reder).
Im
September 1942 wurden
SS-Obersturmführer
Kurt Gerstein und
SS-Standartenführer
Wilhelm Pfannenstiel (beide
SS-Führungshauptamt,
Amtsgruppe D, Sanitätswesen der Waffen-SS, Abteilung Hygiene) beauftragt,
Zyklon B für die Entlausung von Kleidung und den Einsatz bei der Vernichtung von Juden zu testen.
Gerstein beging später Selbstmord in einem französischen Gefängnis,
hat jedoch eine detaillierte Beschreibung seines Besuches in Belzec hinterlassen
(
Gerstein-Bericht).
Die drohende Niederlage der deutschen Truppen an der Ostfront bewog
Himmler,
die Verwischung aller Spuren des Massenmordes in den besetzten Gebieten anzuordnen. Er beauftragte
Paul Blobel, hierfür ein Spezialkommando einzurichten, das
"Sonderkommando 1005".
Am
11. Dezember 1942 traf der letzte Transport in Belzec ein. Mit Hochdruck
wurde inzwischen die Enterdung der Leichen betrieben. Sie wurden aus alten Massengräbern herausgeholt und
verbrannt. Dies wurde allerdings nicht vom "Sonderkommando 1005" durchgeführt, dem der Zugang zu den
Lagern der Aktion Reinhard verwehrt wurde. Die SS zwang die Arbeitsjuden in Belzec, dies zu tun.
Gottlieb Hering beauftragte die
SS-Scharführer
Gley und Tauscher mit der beschleunigten Vernichtung aller Spuren.
Ein Bagger zog die Leichen aus den Massengräbern. Juden des "Sonderkommandos" errichteten Scheiterhaufen,
verbrannten die Körper und schütteten die Asche wieder in die Gruben. Eine Knochenmühle aus
dem Arbeitslager
Janowska zermalmte die übrig gebliebenen größeren
Knochen. Ein gewisser
"Szpilke" soll sie bedient haben. Die Verbrennungsroste
bestanden aus normalen Eisenbahnschienen, die auf Betonpfeilern ruhten. Stücke der noch vorhandenen Schmalspurschienen
(Schmalspurbahn zum Leichentransport) wurden quer über die Schienen gelegt, um ein enges, haltbares
Rost zu schaffen. Schweröl diente zum beschleunigten Verbrennen.
3-4 Scheiterhaufen (einige Einwohner Belzecs sprechen von 5) wurden ab
Anfang November 1942
errichtet und waren bis
März 1943 ständig in Betrieb.
Zwischen 434.000 and 500.000 Körper wurden in Belzec verbrannt. Für Monate lag die gesamte Gegend
unter einer fettigen, stinkenden, schwarzen Wolke. Die Einwohner des Dorfes Belzec kratzten menschliches Fett
von ihren Fensterscheiben.
Als die Verbrennungen ihrem Ende nahten, verließ Lagerführer
Hering
Belzec.
Fritz Tauscher war nun verantwortlich für die endgültige
Liquidierung des Lagers.
Im
Frühling 1943 waren alle Spuren verwischt. Noch brauchbare Materialien
wurden nach
Majdanek gebracht. Das Gelände wurde mit Fichten, Tannen und
Lupinen bepflanzt.
Wirths Haus und das benachbarte Gebäude, in dem die
SS-Männer untergebracht waren, stehen allerdings heute noch, weil sie vor dem Krieg Eigentum der Polnischen
Staatsbahn waren. Andere Spuren des Lagers sind auf unserer
Foto-Seite abgebildet.
Die verbliebenen 300 Männer des Sonderkommandos wurden schließlich nach
Sobibor gebracht.
Hering sagte den
jüdischen Kapos, sie würden nach
Lublin
gebracht. In ihren Eisenbahnwagen seien Eßtische, Brot für drei Tage, Konserven und Wodka.
Leon Feldhendler, jüdischer Gefangener aus
Sobibor, sagte aus:
"
Am 30. Juni 1943 traf ein Transport mit den letzten Juden
aus Belzec ein, bewacht von SS-Unterscharführer Paul Groth.
Alle sollten erschossen werden. Während sie ausgeladen wurden, rannten die Juden in allen Richtungen davon.
Im ganzen Lager wurden sie nach und nach erschossen."
Nach dem Abzug der SS-Mannschaft, die auf andere Lager verteilt wurde, tauchte die Bevölkerung der
benachbarten Dörfer auf dem Lagergelände auf um nach Gold und anderen Wertsachen zu suchen.
Bei den nun folgenden Ausgrabungen wurden auch Leichenteile an die Erdoberfläche befördert.
Diese wilde Suche nach Wertsachen wurde entdeckt von
SS-Oberscharführer
Dubois, der einige Tage später aus
Sobibor
zurück kam.
Nach Besprechung mit seinen Vorgesetzten wurde entschieden, einen Bauernhof auf dem Gelände zu
errichten. Eine ukrainische Bauernfamilie sollte hier dafür sorgen, dass weitere Grabungen nicht mehr
möglich sind.
Im
Sommer 1943 trafen zwei kleinere SS-Kommandos aus
Sobibor und
Treblinka
in Belzec ein, um diese Aufgabe zu realisieren. Die
Treblinka-Gruppe wurde
geleitet von
SS-Scharführer Schiffner, die
Sobibor-Gruppe von
Heinrich Unverhau.
Ein Bauernhaus vom anderen Ende des Dorfes wurde beschlagnahmt, abgebaut und als Wohnhaus der ukrainischen
Familie auf dem Lagergelände wieder aufgebaut.
Im
Sommer 1944 wurde die Gegend von sowjetischen Truppen erobert. Nach der
Befreiung wurde der Bauernhof von der Ortsbevölkerung zerstört.
Etwa 50 Juden konnten aus Belzec flüchten. Eine unbekannte Anzahl von Verschleppten konnte vor Ankunft
im Lager
von den Zügen springen. Am Ende des Krieges gab es nur 7
Überlebende.
Zwei Berichte über jüdischen Widerstand sind erhalten.
Ein Bericht beschreibt einen Angriff des "Sonderkommandos" auf die ukrainischen Wachen im
Juni 1942.
Quellen:
Encyclopaedia of The Holocaust
Arad.
Belzec, Sobibor and Treblinka
Robin O'Neil.
Belzec & The Destruction of Galician Jewry
Michael Tregenza.
Belzec Death Camp
Rudolf Reder.
Belzec
Sir Martin Gilbert.
© ARC 2005