ARC Main Page Rawa Ruska Ghetto Belzec Lagergeschichte

Der Bericht des Wehrmacht-Unteroffiziers Wilhelm Cornides

Letztes Update 5. Juni 2006





"Umsiedlung" in Rawa-Ruska, am 31.8.1942

Bahnhof Rawa Ruska #1
Bahnhof Rawa Ruska #1
Um 12 Uhr 10 sah ich einen Transportzug im Bahnhof einlaufen. Auf den Dächern und Trittbrettern saßen Wachmannschaften mit Gewehren. Man konnte von der Ferne sehen, dass die Wagen mit Menschen vollgepfropft waren. Ich kehrte um und ging den ganzen Zug entlang: Er bestand aus 35 Viehwagen und einem Personenwagen. In jedem der Wagen waren mindestens 60 Juden (bei Mannschafts- oder Gefangenentransporten werden in diesen Waggons 40 Mann verladen, hier waren jedoch die Bänke herausgenommen und man konnte sehen, dass die Eingeschlossenen eng aneinander gedrängt standen).
Die Türen waren teilweise einen Spalt geöffnet, die Fenster mit Stacheldraht vergittert. Unter den Eingeschlossenen waren nur wenige, meist alte Männer zu sehen, alles andere waren Frauen, Mädchen und Kinder. Viele Kinder drängten sich an den Fenstern und den schmalen Türöffnungen. Die jüngsten waren bestimmt nicht älter als 2 Jahre. Sobald der Zug hielt, versuchten die Juden Flaschen herauszugeben, um Wasser zu bekommen. Der Zug war jedoch von SS-Wachen umgeben, so dass niemand in die Nähe konnte. In diesem Augenblick lief ein Zug aus der Richtung von Jaroslau ein, die Reisenden strömten dem Ausgang zu, ohne sich weiter um den Transport zu kümmern. Ein paar Juden, die damit beschäftigt waren, einen Lastwagen der Wehrmacht zu beladen, winkten mit ihren Mützen zu den Eingeschlossenen. Ich sprach mit einem Polizisten, der am Bahnhof Dienst tat. Auf meine Frage, wo denn die Juden herkämen, antwortete er:
"Das sind wahrscheinlich die letzten von Lemberg. Das geht jetzt schon seit 3 Wochen ununterbrochen so, in Jaroslau haben sie nur 8 übrig gelassen, kein Mensch weiß warum."
Ich fragte: "Wie weit fahren die noch?"
Er dann: "Nach Belzec."
"Und dann?"
"Gift.
Ich fragte: "Gas?"
Er zuckte mit den Achseln. Dann sagte er nur noch:
"Am Anfang haben sie sie, wie ich glaube, immer erschossen."

Hier im deutschen Haus sprach ich gerade mit 2 Soldaten vom Front-Stalag 325. Sie sagten, dass diese Transporte in der letzten Zeit täglich durchkamen, meistens nachts. Gestern soll einer mit 70 Waggons durchgefahren sein.

Im Zug von Rawa-Ruska nach Cholm, 17 Uhr 30:

Bahnhof Rawa Ruska #2
Bahnhof Rawa Ruska #2
Als wir um 16 Uhr 40 einstiegen, lief gerade ein leerer Transportzug ein. Ich bin zweimal entlanggegangen und habe gezählt; es waren 56 Waggons. Auf den Türen standen Nummern mit Kreide aufgezeichnet: 60, 70, einmal 90, manchmal 40, wohl die Zahl der Juden, die darin befördert worden waren.
Im Abteil sprach ich mit der Frau eines Bahnpolizisten, die zur Zeit auf Besuch bei ihrem Mann hier ist. Sie sagt, dass diese Transporte jetzt täglich durchkommen, manchmal auch mit deutschen Juden. Gestern seien auf der Strecke 6 Kinderleichen gefunden worden. Die Frau meint, die Juden hätten diese Kinder selbst umgebracht, wahrscheinlich sind sie wohl auf der Reise umgekommen.
Der Bahnpolizist, der als Zugbegleiter mitfährt, stieg in unser Abteil. Er bestätigte die Aussagen der Frau über die Kinderleichen, die gestern auf der Strecke gefunden wurden. Ich fragte:
"Wissen denn die Juden, was mit ihnen geschieht?"
Die Frau antwortete:
"Die, die von weiterher kommen, werden wohl nichts wissen, aber hier in der Nähe wissen sie es schon. Da versuchen die dann auch wegzulaufen, wenn sie merken, dass sie geholt werden. So z.B. neulich in Cholm, wo man 3 auf dem Weg durch die Stadt erschossen hat."
"In den Bahnpapieren laufen diese Züge unter dem Namen 'Umsiedlungstransporte'", bemerkte der Bahnpolizist. Er sagte dann noch, dass nach der Ermordung Heydrichs mehrere Transporte mit Tschechen durchgekommen waren. Das Lager Belzec soll direkt an der Bahn liegen, die Frau hat versprochen es mir zu zeigen, wenn wir vorbeifahren.

17 Uhr 40:

Kurzer Aufenthalt. Uns gegenüber hält wieder ein Transportzug. Ich spreche mit den Polizisten, die vorne im Personenwagen mitfahren. Ich frage:
"Geht's wieder heim ins Reich?"
Grinsend sagt einer:
"Du weißt wohl, wo wir herkommen? Na ja, für uns geht die Arbeit nicht aus."

Dann fuhr der Transportzug weiter, die Wagen waren leer und sauber ausgekehrt, es waren 35. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dies der Zug, den ich um 1 Uhr am Bahnhof in Rawa-Ruska gesehen habe.

18 Uhr 20:

Der Lokschuppen
Der Lokschuppen
Wir sind am Lager Belzec vorbeigefahren. Vorher ging es längere Zeit durch hohe Kiefernwälder. Als die Frau rief "jetzt kommt es!" sah man nur eine hohe Hecke von Tannenbäumen. Ein starker süßlicher Geruch war deutlich zu bemerken.
"Die stinken ja schon", sagte die Frau.
"Ach Quatsch, das ist ja das Gas", lachte der Bahnpolizist.
Inzwischen - wir waren ungefähr 200 Meter gefahren - hatte sich der süßliche Geruch in einen scharfen Brandgeruch verwandelt.
"Das ist vom Krematorium", sagte der Polizist. Kurz darauf hörte der Zaun auf. Man sah ein Wachhaus mit SS-Posten davor. Ein doppeltes Bahngleis führte in das Lager hinein. Das eine Gleis war eine Abzweigung von der Hauptstrecke, das andere führte über eine Drehscheibe aus dem Lager zu einer Reihe von Schuppen, die ungefähr 250 Meter davon entfernt standen. Auf der Drehscheibe stand gerade ein Güterwagen. Mehrere Juden waren damit beschäftigt, die Scheibe zu drehen. SS-Posten, das Gewehr unter dem Arm, standen daneben. Einer der Schuppen war offen, man konnte deutlich sehen, dass er mit Kleiderbündeln bis an die Decke gefüllt war.
Beim Weiterfahren schaute ich noch einmal zum Lager zurück. Der Zaun war zu hoch, als dass man irgend etwas hätte sehen können. Die Frau sagte, dass man manchmal beim Vorbeifahren aus dem Lager Rauch aufsteigen sieht, ich konnte jedoch nichts dergleichen bemerken. Meiner Schätzung nach ist das Lager ungefähr 800 zu 400 Meter groß.

Weitere Augenzeugenberichte
1. Ein Bahnpolizist am Rangierbahnhof in Reichshof erzählte am 30.8.42:
"In Reichshof wird am 1. 9. eine Marmortafel mit goldenen Buchstaben aufgerichtet, weil die Stadt dann judenfrei ist. Die Transportzüge mit den Juden kommen fast täglich am Rangierbahnhof durch, werden sofort weitergeleitet und kommen meist am gleichen Abend schon sauber ausgekehrt zurück. In Jaroslau wurden vor kurzem 6.000 Juden an einem Tag umgebracht."

2. Ein Ingenieur erzählte am 30.8.1942 abends im Deutschen Haus in Rawa-Ruska:
"Bei den Arbeiten am Truppenübungsplatz, der hier gebaut wird, waren neben Polen und Kriegsgefangenen auch Juden beschäftigt, die jetzt zum größten Teil abtransportiert sind. Die Arbeitsleistung dieser Baumannschaften (darunter auch Frauen) war im Durchschnitt 30 % dessen, was von deutschen Arbeitern geleistet worden wäre. Die Leute bekamen allerdings von uns nur Brot, das andere mussten sie sich selber suchen. In Lemberg habe ich neulich zufällig die Verladung eines solchen Transportzuges gesehen. Die Waggons standen am Fuße einer Böschung. Wie die Leute von der SS zum Teil mit Stöcken und Reitpeitschen da hinunter getrieben und in die Wagen gestoßen wurden, das war ein Anblick, den ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde."
Dem Erzähler standen bei diesem Bericht die Tränen in den Augen. Es war ein Mann von ungefähr 26 Jahren, er trug das Parteiabzeichen. Ein sudetendeutscher Bauführer, der am gleichen Tisch saß, bemerkte dazu:
"Neulich ist in unserer Kantine ein besoffener SS-Mann gesessen, der hat geheult wie ein Kind. Er hat gesagt, dass er da in Belzec Dienst tut und wenn das noch 14 Tage so weitergeht, dann bringt er sich um, weil er das nicht mehr aushält."

3. Ein Polizist erzählt im Ratskeller in Cholm am 1.9.1942:
"Die Polizisten, die als Transportbegleiter bei den Judenzügen mitfahren, dürfen nicht in das Lager hinein. Das macht nur die SS und der ukrainische Sonderdienst (eine Polizeiformation aus ukrainischen Freiwilligen). Die machen aber auch ein gutes Geschäft dabei. Neulich war ein Ukrainer bei uns, der hatte einen ganzen Stoß Banknoten bei sich und Uhren und Gold und alles mögliche. Das finden die alles, wenn sie die Kleider zusammentragen und verladen."
Auf die Frage, auf welche Weise denn die Juden umgebracht werden, antwortete der Polizist:
"Man sagt ihnen, dass sie zur Entlausung müssen und dann müssen sie ihre Kleider ausziehen und dann kommen sie in einen Raum, da lässt man zuerst eine Hitzwelle hinein und da ist dann schon eine kleine Dosis von dem Gas dabei. Das genügt zur Betäubung. Der Rest kommt dann nach. Und dann werden sie gleich verbrannt."
Auf die Frage, warum denn diese ganze Aktion unternommen werde, sagte der Polizist:
"Die Juden waren bis jetzt überall als Hilfskräfte beschäftigt, bei der SS, der Wehrmacht usw. Da haben sie natürlich allerhand aufgeschnappt, und das melden sie alles an die Russen weiter. Drum müssen sie weg. Und dann sind sie auch schuld an dem ganzen Schwarzhandel und der Preistreiberei hier. Wenn die Juden weg sind, dann wird man auch wieder vernünftige Preise durchsetzen können."

Quelle:
Peter Longerich. Die Ermordung der europäischen Juden, München 1989, S.212 f