ARC Main Page Die Besetzung Osteuropas

Ghettos

Letztes Update 8. September 2006





Ghettos *
Bereits im frühen Mittelalter trennte man jüdische Wohnbezirke vom Rest der Bevölkerung. Das beruhte auf einem gewissen theologischen und ökonomischen Antisemitismus, der auf die Beschränkung der Kontakte zwischen Juden und Christen zielte. Hier und da hatten Juden auch die Tendenz, aus religiösen, sozialen und kulturellen Gründen eng beieinander zu wohnen, was sie nicht von anderen religiösen oder ethnischen Minderheiten unterscheidet.

Die ersten Ghettos entstanden im 13. Jahrhundert in Deutschland, Spanien und Portugal. Im mittelalterlichen Zentraleuropa gab es Ghettos z.B. in Prag, Frankfurt am Main und Mainz. Im 16. Jahrhundert befand sich das Ghetto von Venedig auf dem Gelände einer ehemaligen Eisengießerei (italienisch: getto).
Hinsichtlich des Ursprungs des Begriffes wurden noch andere Ausdrücke herangezogen:
"Ghetonia" - ein Griko-Wort für Nachbarschaft (Griko ist ein alter griechischer Dialekt, der in der Region Grecia Salentina in Apulien (Süd-Italien) gesprochen wurde)
"borghetto" - bedeutet "kleine Nachbarschaft" auf italienisch
"get" - "Scheidungsurkunde" in hebräisch.

Im Zeitalter der Aufklärung und der sozialen Wandlungen in Folge der Französischen Revolution wurden die Ghettos teilweise aufgelöst.
Bis 1861 gab es in Polen besondere jüdische Wohnbezirke, sogenannte "jüdische Städte". Die Juden durften nur dort und in den Vororten wohnen, nicht aber innerhalb der Stadtmauern, der "christlichen Stadt". Den Juden war es erlaubt, mit Christen zu handeln und kleine Läden in der "christlichen Stadt" zu mieten, z.B. in Krakow (Krakau), Warszawa (Warschau), Vilnius (Wilna), Lublin und Lviv (Lwow). In kleineren Provinzstädten, die oft im Besitz des Adels waren, durften Juden nie im christlichen Teil der Stadt wohnen.
Unter der Nazi-Herrschaft entstanden dann schließlich die berüchtigten, meist abgeschlossenen Hunger-Ghettos vorwiegend im Osten Europas, wo es bis 1939 keine derartigen Wohnbezirke gegeben hatte.

Glogow Malopolski
Glogow Malopolski
Radikalere Nazis strebten die Schaffung von Ghettos in Deutschland und Österreich an, was jedoch schließlich verworfen wurde. Stattdessen mussten Juden in sogenannte "Judenhäuser" ziehen, was im Vergleich zu den Bedingungen in den späteren Ghettos etwas mehr Freiheiten erlaubte.
Mit der deutschen Invasion in Polen entstanden die ersten Judenghettos des 20. Jahrhunderts. Ihre Einrichtung beruhte auf einem Befehl Reinhard Heydrichs an die Chefs der Einsatzgruppen in Polen vom 21. September 1939, in dem er u.a. sagte:
"Vorläufig ist die erste Voraussetzung für das Endziel die Konzentration der Juden vom Lande in größeren Städten."
Auf einer Konferenz in Berlin am selben Tag hatte er erklärt, dass die Konzentration in Ghettos zu geschehen hätte um "eine bessere Kontrollmöglichkeit und die spätere Deportation" sicher zu stellen. Es sollte so wenig "Konzentrationszentren" wie möglich geben, und es sollten nur Städte mit einem guten Bahnanschluss ausgesucht werden. Von Anfang an waren die Ghettos nur als eine vorübergehende Lösung für das von den Nazis so genannte "jüdische Problem" gedacht. Heydrichs Anweisungen machten dies deutlich: Er unterschied zwischen dem "Endziel", das einen längeren Zeitraum benötigte, und den dazu notwendigen, schneller zu vollziehenden Einzelschritten. Die Einrichtung von Ghettos waren Teil der Einzelmaßnahmen. Das "Endziel" war zu dieser Zeit noch nicht genau definiert.

Die Ghettos wurden von Deutschen verwaltet. Über die "Transferstellen" der Ghettoverwaltungen wurden die Ghettobewohner unterhalten und gleichzeitig ausgebeutet. Manche Verwaltungschefs sahen ihre Aufgabe darin, die Ghettobewohner nach Erpressung ihrer Wertsachen zu eliminieren. In Lodz (von den Nazis in Litzmannstadt umbenannt) im "Warthegau" (von den Nazis annektiertes polnisches Gebiet) erklärte Alexander Palfinger, Stellvertreter von Hans Biebow, dem Chef der Ghettoverwaltung:
"Das schnelle Aussterben der Juden ist für uns völlig unbedeutend, wenn nicht sogar wünschenswert, solange die Begleiteffekte das öffentliche Interesse in Deutschland nicht beeinflussen, da ja, wie auch immer, diese Leute in Übereinstimmung mit den Anweisungen des Reichsführers-SS den Staatsinteressen dienen sollen; die einfachsten Bedingungen müssen dafür geschaffen werden."

Andere Ghettochefs sahen in den eingesperrten Juden vorwiegend ein kostenloses Reservoir von Arbeitskraft. Die Juden würden autark sein oder sogar eine Gewinnquelle. Im Gegensatz zu Palfinger sagte Walter Emmerich, Leiter der Wirtschaftsabteilung des Generalgouvernements, in Warschau:
"Ausgangspunkt aller wirtschaftlichen Maßnahmen muss der Gedanke sein, den Juden die Möglichkeit zum Leben zu geben. Die Frage ist, ob man dieses Problem in einer produktiven Weise lösen kann, was bedeutet, dass man so viel Arbeit für das Ghetto schafft und so viel aus dem Ghetto heraus holt, dass ein Gleichgewicht entsteht."

Beide Ansätze haben gemeinsam, dass die Juden keine finanzielle Last für das "Reich" werden sollten. Mit der Zeit setzte sich in vielen Ghettos die ausbeuterische Sichtweise durch, und die Arbeitskraft der Juden wurde eine unentbehrliche, wenn auch vorübergehende Komponente der deutschen Kriegswirtschaft (siehe auch Wirtschaftliche Aspekte der Aktion Reinhard).

Assembled for Forced Labour
Versammelt zur Zwangsarbeit
Dieselben wirtschaftlichen Aspekte durchzogen die gesamte antisemitische Nazipolitik. Für den Völkermord gab es kein Budget im Staatshaushalt. Die Juden mussten ihre eigene Vernichtung finanzieren. Im "Reich" konnte man emigrieren, allerdings nur gegen Bezahlung. In den Ghettos wurden die Insassen gezwungen, die sie umgebenden Zäune und Mauern selbst zu bezahlen, wie auch das Essen, Brennstoffe und Medizin; wohl auch die Fahrkosten der Züge, die sie in die Vernichtungslager brachten. Juden wurde das Recht genommen, sich und ihre Familien durch bezahlte Arbeit ernähren zu können. Nun mussten sie die eventuell noch vorhandenen Wertsachen zum Lebensunterhalt verwerten oder für einen Hungerlohn arbeiten.

Heydrich hatte angeordnet, dass die Ghettos schon 3 - 4 Wochen nach der Invasion eingerichtet sein sollten. Das war allerdings zeitlich nicht einzuhalten. Bereits am 8. Oktober 1939 wurde der Befehl erteilt, ein Ghetto in Piotrkow Trybunalski einzurichten, was später allerdings wegen diverser Probleme als unbefriedigend im Sinne der Nazis angesehen wurde.
Ein anderes frühes Ghetto wurde Ende November 1939 in Pulawy (Distrikt Lublin) eingerichtet, allerdings schon wenig später liquidiert und dessen Insassen auf andere Städte verteilt, vorwiegend nach Opole Lubelskie.

Das erste länger existierende Ghetto wurde im Dezember 1939 oder Januar 1940 in Tuliszkow geschaffen. Danach wurden Ghettos nur langsam eingerichtet - Lodz im April 1940, Warschau im Oktober 1940, Krakau im März 1941 und Lublin im April 1941. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion und der Einverleibung Galiziens in das Generalgouvernement wurde im Dezember 1941 ein Ghetto in Lwow eingerichtet.
Ende 1941 war die Ghettoisierung im Generalgouvernement so gut wie abgeschlossen. Basierend auf den Erfahrungen mit polnischen Ghettos richteten die Nazis nun auch Ghettos in den eroberten Gebieten der Sowjetunion ein. Die letzten Ghettos in Weißrussland wurden allerdings erst im Mai 1942 installiert, fast ein Jahr nach der Besetzung, und als bereits Tausende von weißrussischen Juden ermordet worden waren.

Die Juden wurden aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen, in verschiedene Städte deportiert, in einen ausgewiesenen Bezirk (Ghetto) geschickt und in fremde Wohnungen auf engstem Raum einquartiert wobei die dort ansässige nicht-jüdische Bevölkerung vorher aus ihren Wohnungen geworfen worden war. All dies brachte den Nazis mehr Probleme als erwartet.
Noch im Sommer 1941 existierten Nazi-Pläne zur forcierten Ausweisung der Juden; zuerst in die Umgebung von Lublin, dann nach Madagaskar, dann in die Weiten Russlands. Keiner dieser Pläne wurde verwirklicht; die "Endlösung der jüdischen Frage" sollte auf andere, tödliche Weise vollzogen werden.

Przemysl
Przemysl
Sowohl die zeitliche Verwirklichung als auch die Struktur der Ghettos war inkonsequent. Es gab sowohl abgeriegelte als auch offene Ghettos. In ländlichen Gebieten entstanden zahlreiche "Quasi-Ghettos". In Mielniki bei Sieniawa wurden z.B. einige jüdische Familien auf einem Bauernhof untergebracht und in die Nähe zur Waldarbeit geschickt. Die Leute waren unbewacht, wurden aber trotzdem im Sommer 1942 ermordet und auf dem Bauernhof begraben.
Einige jüdische Gemeinden (wie z.B. in Szydlowiec) wurden in Ghettos umgewandelt. Anderswo wurden überhaupt keine Ghettos eingerichtet. Wo jedoch welche errichtet wurden, gab es eine Gemeinsamkeit: alle Ghettobezirke befanden sich in den ärmsten Stadtteilen. Die Häuser waren baufällig und hatten oft nicht einmal Wasserleitungen oder Stromanschluss. Die Konzentration so vieler Menschen auf so engem Raum bewirkte eine ungeheuer große Bevölkerungsdichte. In Warschau waren 30% der Bevölkerung gezwungen, in 2,4% des Stadtgebietes zu leben. Das Ghetto umfasste 172 ha, von denen 152 ha Wohngebiet waren. Die Deutschen veranschlagten 6 - 7 Personen pro Wohnraum im Ghetto. Nachkriegsschätzungen gehen sogar von 9,2 Personen pro Raum aus, wobei sich bis zu 128.000 Menschen auf einem km2 drängten.
Der zugewiesene Wohnraum im Ghetto von Checiny belief sich auf 2 - 2,5 m2 pro Person. Im kleinen Ghetto von Odrzywol lebten 700 Menschen in einem Bereich, der vorher von 5 Familien bewohnt war, so dass sich zwischen 12 und 30 Personen ein kleines Zimmer teilen mussten.

Warschau und Lodz waren die beiden größten Ghettos. In ihnen wurde fast ein Drittel aller polnischen Juden eingesperrt. Wegen der Größe dieser Ghettos war hier der Mangel an Nahrungsmitteln größer als in anderen Ballungsgebieten, wo die Juden z.T außerhalb des Ghettos arbeiteten und sich so Nahrung von der einheimischen polnischen Bevölkerung besorgen konnten. Trotzdem waren Unterernährung und Krankheiten auch hier an der Tagesordnung. Die Rationen wurden bewusst auf ein Maß begrenzt, das ein Überleben praktisch unmöglich machte. Oft wurde gar keine Nahrung ins Ghetto geliefert und wenn doch, dann von der niedrigsten Qualität bzw. ungenießbar. Nur der Schmuggel von Nahrung und anderen lebenswichtigen Dingen ermöglichte das Überleben.

Hillel Chill Igielman (Bialobrzegi Ghetto) erinnerte sich:
"Die einzige Möglichkeit etwas zu essen zu erhalten, war das Verlassen des Ghettos und der Versuch, Bauernhöfe zu erreichen. Erwischten dich aber die Deutschen, wurdest du erschossen. Wir froren sehr, weil wir kein Feuerholz bekommen konnten um das Haus zu heizen. So versuchten wir, nachts hinaus zu schleichen um Holzzäune abzubrechen. Wärst du aber von den Deutschen geschnappt worden, hätten sie dich erschossen. Die Deutschen wussten, dass Juden in benachbarte Dörfer flüchteten. Daher versprachen sie jedem Polen zwei Pfund Zucker, der einen geflüchteten Juden verriet. Das heißt, dass nicht nur Deutsche Ausschau hielten, sondern auch Polen, besonders jüngere."

Begging for Food
Betteln um Nahrung
Während ein Befehl Hitlers die polnische Bevölkerung auf dem Existenzminimum hielt, wurde den Juden, die auf der untersten Stufe der Nazi Rassenideologie rangierten, nicht einmal dies gewährt. Lodz zeigt ein aufschlussreiches Beispiel. Im Oktober 1940 wurde vorgeschlagen, die Juden nur mit Gefängniskost zu versorgen. Einige Monate später kalkulierte der Buchprüfer, der die Listen der Ghetto-Verwaltung untersuchte, dass pro Jude täglich 23 Pfennige für Nahrung ausgegeben worden waren, was noch weniger war als die Hälfte der Kosten für Gefängniskost.
Im Januar 1941 wurde die Lage so schlimm, dass Kartoffelreste, die als Pferdefutter geliefert worden waren, in die Fabrikküchen umgeleitet wurden. In berichtete der Militärkommandant am 20. Mai 1941:
"Die Lage im jüdischen Wohnbezirk ist katastrofal. Die Leichen der Verhungerten liegen in den Straßen. Die Sterberate, 80% durch Unterernährung, hat sich seit Februar verdreifacht. Das einzige, was an die Juden ausgegeben wurde, waren 1,5 Pfund Brot pro Woche. Niemand konnte bisher Kartoffeln liefern, für die der Judenrat mehrere Millionen im Voraus gezahlt hat..."

In den besetzten Gebieten der Sowjetunion war es nicht besser. Am 13. August 1941 befahl Reichskommissar Hinrich Lohse in seiner Anordnung bezüglich der Behandlung der Juden im Reichskommissariat Ostland:
"Die Juden in den Ghettos dürfen nur so viel Nahrung erhalten wie der Rest der Bevölkerung entbehren kann, jedoch nicht mehr als für ihre bloße Existenz erforderlich. Dasselbe gilt für die Zuteilung anderer notwendiger Sachen."

Krankheiten und Epidemien grassierten in Folge der unhaltbaren Bevölkerungsdichte, ungenügenden sanitären Verhältnissen (im Ghetto Lodz hatten 95% der Wohnungen keine sanitären Einrichtungen und keine Trink- oder Abwasserleitungen), fast vollständig fehlender medizinischer Betreuung, fehlender Brennstoffe zum Heizen, einer Läuseplage sowie der permanenten Hungerrationen. Im Ghetto von Kutno, das die Deutschen "Krepierlager" nannten, starben zwischen März und Dezember 1941 42% der Bevölkerung an Typhus. Die Gesamtsterblichkeit war fast zehnmal höher als vor dem Krieg.
Am 16. Dezember 1941 schrieb Wilhelm Kube, Generalkommissar für Weißrussland, an Lohse und wies darauf hin, dass es in Weißrussland momentan 22 Epidemien aber kein Impfmaterial gab. Die Nazis hatten die Juden stets als Seuchenüberträger dargestellt. Durch die von den Nazis geschaffenen Verhältnisse wurde diese niederträchtige Behauptung nun traurige Realität.

Czestochowa
Czestochowa
Wenngleich die Ghettoisierung langsam und uneinheitlich verlief, ging die Einrichtung von Judenräten schnell und konsequent. Die Nazis hatten aus der Behandlung der Juden in Deutschland gelernt, dass die Einrichtung von zentralen jüdischen Organisationen unabdingbar war für die Umsetzung von Befehlen und Anordnungen. Heydrichs Anweisungen vom 21. September 1939 enthielten Einzelheiten zur geplanten Schaffung von Judenräten, möglichst aus "angesehenen Persönlichkeiten und Rabbis".
Am 28. November 1939 ordnete Hans Frank an, dass in Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern der zu bildende Judenrat aus 12 Personen bestehen sollte, in Gemeinden mit über 10.000 Einwohnern aus 24. Viele prominente Juden widerstrebten sich, dem Judenrat beizutreten. Das war nicht überraschend, denn wenn der Judenrat irgendeine Autorität haben würde, beruhte diese doch nur auf der Macht der Deutschen. In Grodno beschloss die jüdische Gemeinde, keine derartige Einrichtung zu schaffen, weil dies nur die Durchsetzung der Unterdrückungspolitik erleichtern würde. Woanders war man z.T. der Meinung, dass ein Judenrat die Unterdrückung mildern könne. Wo sich keine freiwilligen Mitglieder fanden (z.B. in Lwow), wählten die Deutschen die Mitglieder des Judenrates einfach selbst aus. In Tarnopol (Distrikt Galizien) mussten die ersten Mitglieder dreimal neu ernannt werden, denn die ausgesuchten Juden waren den Deutschen nicht genehm. Fast alle von ihnen, vorwiegend jüdische Vorkriegsaktivisten und Intellektuelle, wurden exekutiert.

Zu den ersten Aufgaben der Judenräte gehörten eine Zählung der jüdischen Einwohner. Ein weiterer wichtiger Punkt war es, die Ablieferung von beschlagnahmtem Vermögen und Wertsachen zu gewährleisten und Zwangsarbeiter bereit zu stellen. Bald war der Judenrat auch noch verantwortlich für die Essenversorgung, die Unterbringung von Neuzugängen, die Arbeitsstellen, die Gesundheit im Ghetto und die Aufstellung einer Ghetto-Polizei ("jüdischer Ornungsdienst"). Während der Liquidierung der Ghettos musste der Judenrat auch noch die Listen der zu deportierenden Juden erstellen.
Zuerst wussten die Judenräte nichts über die wahre Bedeutung des Wortes "Umsiedlung", denn die Deutschen betrieben eine sorgfältige Verschleierung der Tatsachen, vor und auch noch während der "Aktionen". In Rejowiec beruhigte der Judenrat, versichert durch die Nazi-Stellen, die Leute und sagte ihnen, dass ihnen nichts angetan werden würde. Wenige Stunden später musste der Judenrat die Juden am Stadtrand zusammenrufen. Alle Juden wurden deportiert, außer dem Vorsitzenden des Judenrates. Wo die Liquidation eines Ghettos nicht auf einmal vollzogen werden konnte, versicherten die Deutschen den Opfern jedesmal, dass gerade dieser Transport der letzte sei.
Als sich schließlich doch Gerüchte über die Existenz von Vernichtungslagern verbreiteten, zahlten viele Judenräte hohe Bestechungsgelder an Deutsche, um von den Deportationen verschont zu bleiben. Manchmal konnte sogar ein Aufschub von wenigen Tagen oder Wochen erreicht werden, was allerdings das schreckliche Schicksal letztlich nicht abwendete.

Der Zwang, für die Nazis die Deportationslisten zu erstellen, stellte die Judenräte vor ein unlösbares Problem. Wenn sie es ablehnten Listen anzufertigen, würden die Deutschen selbst die Leute zufällig und brutal auswählen. Weil es offensichtlich war, dass die Ghettos nicht gerettet werden konnten, beschlossen viele Judenräte, die Jungen zu schützen. Diese hatten eine größere Überlebenschance als die Alten, Kranken oder große Familien mit kleinen Kindern. Die mit dem Auswählen verbundenen Qualen sind anschaulich dargestellt vom stellvertretenden Vorsitzenden des Judenrates im Ghetto von Kovno (Kaunas):
"Der Judenrat sah sich mit dem gleichzeitigen Problem von Gewissen und Verantwortung konfrontiert... Es gab zwei Alternativen... Entweder einwilligen, den Gestapo-Befehl bekannt geben und entsprechende Anweisungen an die Ghetto-Polizei geben oder den Befehl ignorieren und somit zu sabotieren. Der Judenrat meinte, dass bei Befolgung der ersten Möglichkeit ein Teil oder vielleicht die Mehrheit des Ghettos zumindest für eine gewisse Zeit gerettet werden könne. Die Wahl der anderen Möglichkeit hätte schwerwiegende Konsequenzen für das gesamte Ghetto zur Folge, mit einer möglichen sofortigen Liquidierung."
So sahen sich die Judenräte mit einer zunehmenden Zahl schrecklicher Entscheidungen konfrontiert. Wer sollte gerettet, wer geopfert werden? Die Mitglieder der Judenräte waren menschliche Wesen und daher auch der ganzen Bandbreite zwischen Schwächen und Tugenden ausgesetzt. Manche arbeiteten mit den Deutschen zusammen, aus Ehrgeiz oder zum persönlichen Vorteil, andere quälten sich mit vernünftigen Antworten auf irrationale Fragen bzw. verwirkten ihr eigenes Leben um nicht zu Mordgehilfen zu werden. Ein Beispiel von vielen: Der stellvertretende Vorsitzende des Judenrates im Ghetto von Bilgoraj, Hilel Janover, und drei andere Mitglieder, Szymon Bin, Shmuel Leib Olender und Ephraim Waksszul, wurden am 3. Mai 1942 erschossen. Sie hatten sich geweigert, eine Liste für die Deportation nach Belzec anzufertigen.
Letztlich war es egal, ob man mit den Nazis kooperierte oder sich widersetzte. Nichts konnte die Judenräte oder ihre Gemeinden vor der Vernichtung retten.

Die Zahl der Ghettobewohner änderte sich ständig, besonders in den Distrikten des Generalgouvernements wie Krakau, Radom und Lublin. Juden wurden von kleineren Gemeinden in die großen Ghettos gebracht, trafen aus anderen Regionen Polens ein, und schließlich, als die Vernichtungslager ihren Betrieb aufnahmen und die Ghettos leerten, wurden auch die Juden aus anderen europäischen Staaten in die Ghettos gebracht. Ein beeindruckendes Beispiel ist die Stadt Zamosc, wo von der Vorkriegsbevölkerung von etwa 12.000 Juden ca. 7.000 vor den Deutschen in die Sowjetunion flüchteten. Sie wurden umgehend durch Juden aus Nachbargemeinden und etwa 8.000 Juden aus den annektierten polnischen Gebieten ersetzt. Als die Deportationen nach Belzec begannen, trafen Juden aus Deutschland und dem "Protektorat Böhmen und Mähren" in der Stadt ein. Nur einige Juden, die schon vor dem Krieg in Zamosc gewohnt hatten, überlebten bis zur Liquidierung des Ghettos bzw. dem letzten Deportationszug nach Izbica und anschließend nach Belzec.

Trotz der unmenschlichen Lebensbedingungen und den außerordentlich schwierigen Verhältnissen wurde das religiöse und kulturelle Leben der Juden so weit wie möglich aufrecht erhalten, besonders in größeren Städten. Es gab Musik-, Opern- und Theaterveranstaltungen sowie Bibliotheken. Viele Gedichte und Kunstwerke sind erhalten geblieben und bezeugen das Leben und Sterben in den Ghettos. Im Ghetto von Vilnius (Wilna) wurde ein Museum eingerichtet. Obwohl Bildungsanstalten verboten waren, besuchten viele Kinder heimlich Schulen, und Erwachsene studierten weiterhin z.B. religiöse Texte. Jüdische Feiertage und Rituale wurden heimlich begangen.

Deportation
Deportation
Ghettos existierten unterschiedlich lange. Einige gab es nur für wenige Monate, andere mehr als zwei Jahre. Das große Ghetto von Lodz, das im April 1940 eingerichtet worden war, wurde als letztes im August 1944 liquidiert. Wenn der Schlussakt für ein Ghetto begann, waren bereits Tausende vorher gestorben.

Am 19. Juli 1942 erteilte Heinrich Himmler dem Höheren SS- und Polizeiführer in Krakau, Friedrich Wilhelm Krüger, und dem SS- und Polizeiführer Lublin, Odilo Globocnik, den Befehl, die restlichen Juden im Generalgouvernement zu eliminieren. Bis zum 31. Dezember 1942 sollte es keine Juden mehr geben außerhalb der Ghettos von Warschau, Krakau, Czestochowa, Radom und Lublin. Kraft Gesetz mussten diese Ghettos Sammellager werden, was de facto KZ bedeutete.

Während der "Aktionen" wurden schon vor der endgültigen Deportation hunderte Juden ermordet. Lange Kolonnen von hungernden Menschen marschierten schließlich zu den Sammelplätzen, auch "Umschlagplatz" genannt. Dort mussten die Leute Güterwagen besteigen, oft 100 oder mehr pro Waggon. Die Züge, die oft aus ca. 50 Waggons bestanden, brachten die Opfer dann nach den Vernichtungslagern. Um die Ghettobewohner dazu zu bewegen sich freiwillig für die "Umsiedlung" zu melden, wurde ihnen dafür von den Deutschen eine ordentliche Brotration angeboten. In Warschau sollte es z.B. 3 kg Brot und 1 kg Marmelade für die freiwillige Meldung geben. Tausende nahmen dieses Angebot wahr, denn es handelte sich ja nur, entsprechend der von den Deutschen verbreiteten Falschinformation, um eine Umsiedlung nach dem Osten.

Einige Ghettos wurden erst in der zweiten Jahreshälfte 1942 eingerichtet, nach den ersten Deportationen in die Vernichtungslager. Sie waren vorwiegend geschlossene Ghettos und offiziell für die noch arbeitsfähigen Juden. Tatsächlich waren sie aber Sammelplätze für diejenigen Juden, die die ersten Deportationen in Verstecken überlebt hatten bzw. außerhalb der Ghettos Unterschlupf gefunden hatten.
Entsprechend einem Befehl Krügers durften sich Juden noch Anfang 1943 an 54 Orten im Generalgouvernement aufhalten. Im Mai 1943 wurden die meisten dieser "Rest-Ghettos" liquidiert und die noch arbeitsfähigen Insassen auf KZs und Zwangsarbeitslager verteilt: Majdanek, Poniatowa, Trawniki, Plaszow, Budzyn, Janowska, Blizyn, Skarzysko-Kamienna oder Szebnie.
Viele andere Juden wurden in Massenexekutionen ermordet oder in Vernichtungslager geschickt, hauptsächlich nach Sobibor, Auschwitz-Birkenau oder Majdanek.
Lediglich eine kleine Anzahl jüdischer Spezialisten blieb an wenigen Orten zurück. Sie wurden in streng abgeschirmten Arbeitslagern oder Gestapo-Gefängnissen eingesperrt und mussten hauptsächlich für örtliche SD-Stellen arbeiten, z.B. bis Juli 1944 in Lublin und Chelm.

Es ist ein allgemein verbreitetes Missverständnis, dass sich Juden nicht ihren Peinigern entgegen stellten, sondern sich widerstandslos ihrem Schicksal ergaben. Widerstand kann viele Formen annehmen, vom bewaffneten Kampf bis zum simplen Entschluss möglichst zu überleben. Viele Opfer waren nicht in der Lage sich zu widersetzen, z.B. alte Leute, Mütter, Kinder oder Behinderte. Viele waren auch einfach zu erschöpft. Physischer Widerstand war oft nur politisch motivierten jungen Erwachsenen möglich. Es gibt dafür viele Beispiele. Am besten bekannt sind die Ghetto-Aufstände von Warschau und Bialystok, doch auch in anderen Ghettos gab es bewaffneten Widerstand, z.B. in Czestochowa, Minsk Mazowiecki, Vilnius und Bedzin.
Angesichts gut ausgebildeter und stark bewaffneter Nazi-Truppen und einer indifferenten nicht-jüdischen Bevölkerung um sie herum, müssen die Widerstandsaktionen als sehr mutig wenn auch aussichtslos betrachtet werden.

In vielen Ghettos wurden Chroniken oder Tagebücher geschrieben. Einige sind teilweise oder ganz verloren gegangen, andere sind erhalten geblieben und wurden die wichtigsten Zeugnisse des Lebens im Ghetto, so z.B. das warschauer "Oneg Shabbat Archiv" von Dr. Emanuel Ringelblum und die Tagebücher von Adam Czerniakow und Chaim Kaplan. Aufzeichnungen aus Lodz, Kovno (Kaunas) und anderen Ghettos sind ebenfalls erhalten geblieben.
Stefan Ernest gelang es, im Januar 1943 vom Warschauer Ghetto in den "arischen" Teil der Stadt zu flüchten. Während der Liquidierung des Ghettos war er versteckt und schrieb, im Glauben keine Überlebenschance zu haben, die Geschichte des Ghettos auf. Am Ende seiner Aufzeichnungen schrieb er:
"... Ich wünsche, dass das Schicksal mir einige Wochen Zeit einräumt mein Leben zu verlängern, um Zeugnis ablegen zu können wie die Dinge wirklich waren. Ich möchte glauben und ich glaube, dass meine Stimme nicht allein sein wird in der Beschreibung dieser Ereignisse, und dass da andere sind und sein werden, die das auch bezeugen werden. Besser, umfassend, exakt... Der Kampf mich selbst zu retten, ist hoffnungslos... Aber das ist nicht wichtig. Weil ich meinen Bericht zu Ende bringen kann und darauf vertraue, dass er eines Tages zur richtigen Zeit das Licht erblicken wird. Und Leute werden erfahren, was sich ereignet hat... Und sie werden fragen 'Ist dies die Wahrheit?' Ich antworte schon jetzt: Nein, dies ist nicht die Wahrheit, dies ist nur ein kleiner Teil, ein winziges Bruchstück der Wahrheit... Sogar die mächtigste Feder kann nicht die ganze, wirkliche, wesentliche Wahrheit beschreiben."

Im Ghetto von Lodz schrieb Jozef Zelkowicz:
"Sohn eines Mannes, geh auf die Straße ... Sei stark. Bewahre dein Herz vor dem Zerbrechen und du wirst vorsichtig und klar beschreiben können, was im Ghetto geschah während der ersten Tage im September des Jahres eintausendneunhundertundzweiundvierzig."

Beschreibungen einer Anzahl von Ghettos:
Biala Podlaska, Bialystok, Bochnia, Brody, Czestochowa, Grodno, Jaworow, Kielce, Kolomyja, Krakow (Krakau), Krasnystaw, Lodz, Lubartow, Lublin, Lviv (Lwow), Miedzyrzec Podlaski, Minsk, Piotrkow Trybunalski, Przemysl, Radom, Radomsko, Rawa Ruska, Riga, Rzeszow (Reichshof), Siedlce, Tarnow, Terezin (Theresienstadt), Tluszcz, Tomaszow Mazowiecki, Vilnius (Wilna), Warszawa (Warschau), Zamosc, Zwolen.
Darstellung einer Stadt, in der kein Ghetto eingerichtet wurde:
Jozefow Bilgorajski.

Siehe auch unsere ARC Ghetto-Liste!

Karte:
Sir Martin Gilbert *

Quellen:
Gutman, Israel, ed. Encyclopedia of the Holocaust, Macmillan Publishing Company, New York, 1990
Hilberg, Raul. The Destruction of the European Jews, Yale University Press, New Haven, 2003
Gutman Yisrael. The Jews Of Warsaw 1939-1943, Indiana University Press, Bloomington and Indianapolis, 1989
Arad Yitzhak, Gutman Israel and Margaliot Abraham, eds. Documents On The Holocaust, University of Nebraska Press, Lincoln and London, 1999
Browning, Christopher R. The Origins of the Final Solution – The Evolution of Nazi Jewish Policy September 1939 – March 1942, William Heinemann, London, 2004
Browning, Christopher R. Nazi Policy, Jewish Workers, German Killers, Cambridge University Press, Cambridge, 2000
Trunk, Isaiah. Judenrat – The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, University of Nebraska Press, Lincoln, 1996
Dobroszycki, Lucjan, ed. The Chronicle of the Lodz Ghetto 1941-1944, Yale University Press, New Haven and London, 1984
Herbert, Ulrich, ed. National Socialist Extermination Policies – Contemporary German Perspectives and Controversies, Berghahn Books, New York and Oxford, 2000
Gilbert, Martin. The Boys – Triumph Over Adversity, Weidenfeld & Nicolson, London, 1996
Adelson, Alan and Lapides Roberts, eds. Lodz Ghetto – Inside a Community Under Siege, Viking Penguin, New York, 1989
Eisenbach, Artur. Hitlerowska polityka zaglady Zydow. (Hitler`s Policy of Annihilation of the Jews), Warszawa 1961
Archive of the Jewish Historical Institute in Warsaw: Testimonies by Survivors.
http://en.wikipedia.org/wiki/ghetto

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