In Zusammenhang mit deutschen Plänen zu Beginn der Besetzung Polens sollte der Distrikt
Lublin "der Pfeiler der Landwirtschaft im Generalgouvernement" werden.
Zur Modernisierung der Landwirtschaft in diesem Gebiet wollten die deutschen Behörden die kleineren
Flüsse regulieren und die Wiesen verbessern. Daher richtete die Wasserwirtschaftsinspektion im
Distrikt
Lublin 1940 ein Netz von kleinen
Arbeitslagern ein. Jüdische und polnische Gefangene sollten darin arbeiten. Der Bezirk
Chelm wurde eines von mehreren Zentren für diese Lager.
1942 wurde hier das Vernichtungslager Sobibor errichtet.
1940 wurden Juden (hauptsächlich aus den Distrikten
Lublin und
Warschau) in diese Lager
geschickt. Ihr offizieller Lohn betrug 96 Zloty im Monat, viel zuwenig für diese harte Arbeit.
|
Sobibor Arbeitslager |
Die Zwangsarbeitslager wurden in der sumpfigen Umgebung von Sobibor gebaut:
Czerniejow, Dorohusk, Kamien, Krychow, Luta, Nowosiolki, Osowa, Ruda Opalin,
Sawin, Siedliszcze, Sobibor-village, Staw-Sajczyce, Tomaszowka, Ujazdow, Wlodawa und
Zmudz.
In einigen Orten wurden die Lager in Schulhäusern, verlassenen Bauernhöfen oder Fabriken eingerichtet
Außer in
Krychow lebten die Gefangenen in Scheunen, auf privaten Höfen
oder in Mühlen (in
Staw-Sajczyce).
Die Lager unterstanden der deutschen Zivilverwaltung, wurden jedoch bewacht von
Trawniki-Männern oder jüdischer Polizei (in
Osowa). In
Sawin wurden die Gefangenen von
jüdischer Polizei und polnischen Wachmännern der Wasserwirtschaftsinspektion beaufsichtigt.
|
Arbeitslager Sawin #1 |
Die Gefangenen wurden gezwungen, 8-10 Stunden täglich zu arbeiten. Die meiste Zeit standen sie in nasser
Kleidung im Wasser, ohne die Möglichkeit zu haben, diese zu wechseln. Essen war immer das Hauptproblem. Nur
diejenigen, die von nahe gelegenen Städten stammten, konnten etwas Essen von zu Hause erhalten. Die Juden
aus dem
Warschauer Ghetto oder dem
Distrikt
Warschau waren auf die Lagerküchen angewiesen. Wenn sie noch
Geld oder Wertsachen hatten, konnten sie damit von der örtlichen Bevölkerung Brot kaufen. In einigen
Lagern wie z.B.
Krychow, wurden die Insassen ermordet wenn der Lagerkommandant
Adolf Löffler einen Kontakt zu ansässigen Polen entdeckte.
Polnische Bauern, beschuldigt des Verkaufes von Nahrung an die Gefangenen, wurden geschlagen. In
Osowa waren derartige Kontakte allerdings nicht strikt verboten. Aus Mangel
an Geld tauschten die Juden dort sogar ihre Kleidung für Essen.
Allein
1941 wurden 2.500 von 8.700 Juden aus dem
Warschauer
Ghetto wegen Krankheit entlassen. Viele Gefangene starben an Hunger, Typhus oder zu harter Arbeit.
In manchen Lagern wie
Osowa oder
Sawin
gab es auch Massenexekutionen. Im
Herbst 1941 wurde in
Osowa eine Gruppe von 58 übrig gebliebenen Juden nahe des Lagers exekutiert.
Zwei von ihnen überlebten und wurden Funktionshäftlinge in der zweiten Periode des Lagers
(
zwischen 1942 und 1943).
|
Arbeitslager Sawin #2 |
1941 wurden 2.200 Juden aus dem
Warschauer Ghetto
nach
Krychow, Osowa, Sawin und
Staw-Sajczyce
deportiert. Die genaue Anzahl der aus diesen Lagern im
Juni/Juli 1941 entlassenen
Gefangenen (als fast alle großen Gebäude bei Kriegsbeginn gegen die UdSSR von der Wehrmacht
übernommen wurden), ist nicht bekannt. In
Osowa betrug die durchschnittliche
Zahl der Gefangenen ca. 400-500 Menschen. In
Siedliszcze etwa 2.000, und in
Sawin 700-800.
Krychow war das größte Lager dieses Netzwerkes. Es lag südwestlich
von Sobibor, in der Nähe des Dorfes
Hansk. Es war schon vor dem Krieg
als Haftlager für polnische Kriminelle eingerichtet worden. Damals mussten sie auch Flüsse regulieren.
1940 erhielt die Verwaltung von
Hansk einen Befehl
der Zivilverwaltung, die Gebäude des Lagers für Zigeunertransporte vorzubereiten, die
von ihrem Lager in Belzec eintreffen sollten: eine Gruppe von ca.
1.000-1.500 Menschen. Nach polnischen Zeugenaussagen aus
Hansk wurden die Sinti und
Roma in
Krychow weder bewacht noch zur Arbeit gezwungen. Die meisten von ihnen
konnten kein polnisch sprechen. Sie tauschten ihre Kleidung gegen Essen und bettelten um Geld. Im
Herbst 1940 wurden sie von
Krychow weggebracht.
Einige von ihnen wurden ins
Ghetto Siedlce deportiert.
|
Arbeitslager Sawin #3 |
Zwischen Ende 1940 und Frühjahr 1941 waren die meisten Gefangenen in
Krychow Juden aus dem
Ghetto Warschau
und ortsansässige Polen und Ukrainer, die ihre Abgaben nicht geleistet hatten. Etwa 1.500 Gefangene in
Krychow wurden geschlagen und litten unter Hunger und Krankheiten (nach
Zeugenaussagen von Einwohnern in
Hansk). 150 Juden arbeiteten als Handwerker.
Viele Juden arbeiteten auf den Feldern der deutschen Kolonisten oder auf konfiszierten Landgütern.
Sogar Frauen und Kinder (8-12 Jahre alt) mussten hier arbeiten.
Mit Beginn der
Aktion Reinhard wurden die Lager nur noch für Juden
verwendet. Nachdem ihre Familien für sie bezahlt hatten, durften die polnischen und ukrainischen Gefangenen
Anfang 1942 die Lager verlassen.
Die Juden kamen nun aus den liquidierten Ghettos in der Umgebung von Sobibor:
Rejowiec,
Siedliszcze, Sawin, Wlodawa und
Chelm oder aus Sobibor, nach einer
Selektion. In Sobibor gab es tatsächlich Selektionen.
Bereits auf der Rampe des Vernichtungslagers stehend, konnten sich die Deportierten aus der Slowakei,
Terezin (Theresienstadt), Deutschland oder Österreich natürlich
nicht darüber bewusst sein, dass nur wenige Meter weiter ihre Verwandten und Freunde ermordet wurden.
Sobibor war wohl das einzige Vernichtungslager der Aktion Reinhard, in dem die SS größere Gruppen
für die Arbeit in anderen Lagern selektierte (z.B.
Budzyn,
Trawniki,
Poniatowa und
Dorohucza). Die Anzahl der Selektierten ist unbekannt.
|
Arbeitslager Sawin #4 |
|
Gedenkstätte Adampol |
Abgesehen von den schlechten Verhältnissen in den Lagern (im Frühjahr und Sommer waren die Mücken
ein großes zusätzliches Problem), fanden auch regelmäßige Selektionen statt. Kranke und Kinder
wurden danach auf Pferdewagen oder zu Fuß in das Vernichtungslager Sobibor gebracht. In den Lagern in der
Nachbarschaft des Vernichtungslagers wussten die Gefangenen, was dort vor sich ging. Daher war der psychologische
Druck groß, und beeinträchtigte den Überlebenswillen. In vielen polnischen Zeugenaussagen wurde
die Passivität der Gefangenen erwähnt. Im Dorf
Osowa, 7 km von
Sobibor entfernt und von einem großen Wald umgeben, flüchtete z.B. kein Gefangener obwohl einige Polen
ihnen geholfen hätten. Nur während der Auflösung des Arbeitslagers
Adampol bei
Wlodawa
(am
13. August 1943) versuchten einige Gefangene, die in Kontakt zu Partisanen standen,
einen gewissen Widerstand gegen die Polizei. Dazu muss erwähnt werden, dass die meisten Insassen des Lagers in
Adampol polnische Juden waren, die sich ihr weiteres Schicksal vorstellen konnten.
Während der Auflösung des Lagers wurden 475 Gefangene auf der Stelle erschossen. Die ausländischen
Juden hatten so gut wie keine Chance zu entkommen, weil sie weder die einheimische Bevölkerung noch die Gegend
kannten. Besonders für Juden aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden
(
1943) war die Sprachbarriere ein unüberwindliches Problem.
In
Sawin konnten zwei tschechische Juden fliehen. Einer der beiden, der seine
Mutter bei einer Selektion im Lager verloren hatte, erfuhr erst nach dem Krieg, dass sein Lager in
Sawin nicht weit vom Vernichtungslager entfernt lag.
In anderen Lagern stammte die Mehrheit der Gefangenen aus dem Ausland. Polnische Zeugen berichteten oft von engen
Kontakten zu jüdischen Insassen aus der Tschechei. Polnische Bauern bemerkten, dass unter den Deportierten
auch Juden waren, die zum christlichen Glauben konvertiert waren. In
Sawin gab
es z.B. eine Zahnärztin aus der Tschechoslowakei, die Mitglied im Kirchenchor gewesen war und deren Sohn
während der Messe die Geige gespielt hatte. Christliche Juden gab es auch in
Krychow:
"
Unter den Juden im Lager Krychow gab es auch Katholiken.
Ich sah, wie während eines Transportes nach Krychow einige von ihnen vor
einem Kreuz an der Straße anhielten, sich bekreuzigten und beteten. Ich sah auch, dass einige von ihnen kleine
Kreuze auf der Brust trugen." (Aussage von
Zygmunt Leszczynski aus
Hansk)
|
Arbeitslager Sawin #5 |
Im
Sommer und Herbst 1943 wurden die meisten dieser Lager aufgelöst und deren
Insassen nach Sobibor ins Vernichtungslager gebracht. Von
Krychow kamen die
Gefangenen auf Pferdewagen. Von
Sawin aus mussten die Menschen zu Fuß gehen,
und viele wurden während des Marsches ermordet:
"
Ich erinnere mich. Wir waren zusammen mit meinem Vater vor unserem Haus, 5-8 m entfernt von
der Straße. Plötzlich sahen wir den "Kalmücken" (möglicherweise ein ukrainischer Wachmann) und
hinter ihm mehrere hundert, in einer Kolonne marschierende Leute. Sie gingen sehr langsam und sahen verhungert und
dreckig aus. Einige von ihnen zogen ihre Mützen ab und sagten zu uns Abschiedsworte wie: "Auf Wiedersehen,
Herr Stankiewicz, wir gehen ins Feuer."
(Aussage von
Henryk Stankiewicz aus
Sawin)
|
Arbeitslager Sawin #6 |
Nach den Selektionen in den Arbeitslagern und während deren Auflösung zwangen die Deutschen die polnischen
Bauern, ihre Pferdewagen herzugeben zum Transport der alten Leute und Invaliden. Die Polen fuhren bis unmittelbar
ans Tor des Vernichtungslagers. Dort mussten sie absteigen, und ukrainische Wachmänner fuhren die Wagen durch
das Tor. Danach hörten die Polen das Schreien der Opfer, und nach einer oder zwei Stunden wurden ihre Wagen leer
wieder aus dem Lager gefahren.
Das Lager im Dorf
Luta wurde wahrscheinlich zuletzt liquidiert. Nach Zeugenaussagen
existierte es bis zum Aufstand in Sobibor, am
14. Oktober 1943. Gefangene in
Luta beobachteten eine Gruppe von Flüchtlingen aus Sobibor, die in den
nahe gelegenen Wald liefen. Nach dem Sobibor-Aufstand wurden die Juden aus
Luta
zur Vernichtung nach Sobibor gebracht.
In
Osowa ist noch heute (2005) ein kleiner Friedhof zu sehen mit Gräbern
von im Arbeitslager umgekommenen Gefangenen.
Die Anzahl derer, die durch diese Arbeitslager gingen oder dort gestorben sind, ist unbekannt. Der Umstand, dass es
im Umfeld des Vernichtungslagers Sobibor eine Reihe kleinerer Arbeitslager gegeben hat, ist selbst unter Historikern
nicht generell bekannt und erfordert weitere Untersuchungen.
Quellen:
Archiv des Institutes für nationale Erinnerung in Lublin; Dokumente über die
Untersuchungen von Massenverbrechen in den Arbeitslagern in Krychow, Siedliszcze und Adampol.
Staatsarchiv in Lublin: Sammlung des Gouverneurs des Distrikts Lublin.
Interview mit Herrn Stefan Ostapiuk aus Osowa, Privatsammlung von Dr. R. Kuwalek.
T. Berenstein: Obozy pracy przymusowej dla Zydow w dystrykcie lubelskim. Biuletyn ZIH, nr 24 (1957).
T. Berenstein: Zydzi warszawscy w hitlerowskich obozach pracy przymusowej. Biuletyn ZIH nr 67 (1967).
E. Dziadosz, J. Marszalek: Wiezienia i obozy w dystrykcie lubelskim w latach 1939-1967. "Zeszyty Majdanka",
vol. III (1967).
J. Krasnodebska: Przyczynek do historii getta w Sawinie. "Rocznik Chelmski", vol. IV (1998).
J. Marszalek: Zydzi warszawscy w Lublinie i na Lubelszczyznie w latach 1940-1944. (in) Zydzi w Lublinie.
Materialy do dziejow spolecznosci zydowskiej Lublina. red. T. Radzik. Lublin 1995.
© ARC 2005