Der
Herbst 1941 war eine kritische Periode in der Entwicklung der "Endlösung".
Obwohl in den letzten Jahren viel bekannt geworden ist über die Judenpolitik der Nazis, ist deren
Entscheidungsfindung weniger klar. Lediglich Mutmaßungen umgeben die Chronologie der Vorgänge und des
involvierten Personals. Es ist allerdings möglich, in gewissem Maße den Gang der Ereignisse mittels
Dokumenten und intensiver wissenschaftlicher Forschung nachzuvollziehen.
In den von den Deutschen besetzten Gebieten der ehemaligen Sowjetunion ist ab
Spätsommer 1941 die ursprüngliche Vorgehensweise der Erschießung
von nur männlichen Juden erweitert worden auf alle Juden, unabhängig von Alter und Geschlecht.
Auf dem Höhepunkt dieses Vernichtungsprogrammes (im
Herbst 1941) hatten die Nazis
begonnen, die serbischen Juden umzubringen und
Hitler letztlich die Deportation
deutscher Juden authorisiert.
Seit den ersten Tagen der Invasion in Russland hatte die
Einsatzgruppe B in Weißrussland mehr und mehr
Morde begangen.
Die Stadt Mogilev liegt am Fluss Dnjepr, etwa 200 km östlich von
Minsk. Das Hauptquartier des
HSSPF Zentralrussland, SS-Obergruppenführer
Erich von dem Bach-Zelewski,
war in Mogilev. Das Einsatzkommando 8, kommandiert von SS-Obersturmbannführer
Otto
Bradfisch, war hauptsächlich verantwortlich für die Morde in der Stadt.
Am
25. September 1941 wurden den noch in Mogilev verbliebenen Juden befohlen, innerhalb
von fünf Tagen in ein Ghetto an der Dubrovenka-Brücke umzuziehen. Auf Befehl von
Bach-Zelewski folgte alsbald die Liquidation dieses Ghettos: 2.273 Bewohner
wurden demzufolge am
2. und 3. Oktober 1941 umgebracht, gefolgt von einem weiteren
Massaker an 3.726 Juden am
19. Oktober 1941.
Innerhalb von zwei Monaten wurden 6.500 Juden in Mogilev ermordet. Die verbliebenen Juden, weniger als 1.000, wurden
in ein neu errichtetes Arbeitslager innerhalb der
Dimitrov-Fabrik eingewiesen.
Zwischen 23. und 25. Oktober 1941 besuchte
Heinrich Himmler Mogilev und das neue
Arbeitslager, begleitet von "acht anderen Herren", unter ihnen der HSSPF Nordsee, SS-Gruppenführer
Rudolf Querner.
1946 sagte
Bach-Zelewski aus, dass "eine Kommission
aus
Hamburg 1943 in Mogilev ankam mit einem SS-Befehl,
dort eine "Gasfabrik" zur Ermordung von Menschen zu errichten.
Die Gaskammer sollte unter
Bach-Zelewskis Kommando innerhalb einer gesicherten
Fabrik, identisch mit der
Dimitrov-Fabrik, errichtet werden.
Entsprechend der Aussagen anderer Angeklagter war
Bach-Zelewskis Aussage
hauptsächlich bestimmt von seinem Willen, die eigene Haut zu retten: Das erwähnte Datum war nicht
glaubwürdig und sollte zeigen, wie spät er von den Massenvergasungen erfahren hatte.
Immerhin deckt sich
Bach-Zelewskis Aussage mit dem Besuch
Himmlers und seines Gefolges im
Oktober 1941.
Eine Verbindung zwischen der Kommission aus
Hamburg und der geplanten Gaskammer in
Mogilev ist noch nicht zu beweisen, doch dass sich in diesen Tagen etwas ereignete, ist ohne Zweifel, denn
Mitte November 1941 erhielt die Firma
Topf & Söhne in
Erfurt vom SS-Hauptamt II den Auftrag, ein großes Krematorium in Mogilev
zu errichten. Am
30. Dezember 1941 wurde ein Ofen mit vier Verbrennungskammern geliefert
und installiert.
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Novinki |
Es gibt auch andere Beweise, die annehmen lassen, dass sich die Nazis in diesen Monaten dazu entschlossen hatten,
Massenvernichtungen im Raume
Minsk und Mogilev durchzuführen.
Am
15. August 1941 besuchte
Himmler
das Behindertenheim in
Novinki, 6,5 km nördlich von
Minsk. Es lag innerhalb einer Kolchose, die der SS übertragen worden war.
Himmler instruierte SS-Brigadeführer
Arthur
Nebe, Kommandant der Einsatzgruppe B, alle Patienten zu töten, jedoch eine humanere Methode zu
praktizieren, als die Menschen zu erschießen.
Am
18. September 1941 wurden daraufhin 200 Patienten der Klinik in
Novinki nach einem kleinen Badehaus gebracht und mit Motorabgasen ermordet.
Ein weiteres, (nicht erfolgreiches) Experiment wurde durchgeführt, indem man 25 Patienten in zwei Bunkern
einsperrte und diese mit Sprengstoff in die Luft jagte. Das grauenhafte Resultat kann man sich vorstellen.
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Vergasung in Mogilev |
Wenige Tage früher hatte ein weiteres Experiment in Mogilev stattgefunden, bei dem mehr als 500 geistig
Behinderte, wiederum unter der Leitung von
Nebe, ermordet worden waren.
Ein Raum in dem Behindertenheim war hermetisch abgedichtet worden. In die Außenwand wurden zwei Löcher
gebohrt, durch die jeweils ein Schlauch eingeführt wurde. Ein PKW (
Adler 1939 Limousine oder
Cabrio, 2 Liter, Kennzeichen-Nr. "Pol 28545") wurde außerhalb des Raumes geparkt und sein Auspuff mit dem Schlauch
in der Mauer verbunden. Der Motor wurde angelassen und die Abgase strömten in die Gaskammer. Als die Opfer auch
noch nach 8 Minuten lebten, wurde der Auspuff eines weiteren Autos, möglicherweise eines
Opel Blitz
(Kennzeichen Pol 51628), an das zweite Rohr in der Wand der Gaskammer angeschlossen.
Dr.
Albert Widmann (Chemiker des Kriminaltechnischem Institutes – KTI),
der die Vergasung verfolgte, beschrieb das Ereignis:
"Im Laufe des Nachmittags hatte
Nebe das Fenster
zugemauert, allerdings zwei Öffnungen gelassen für die Gasschläuche. Als wir ankamen, war einer der
Schläuche, die ich mitgebracht hatte, angeschlossen. Er war mit dem Auspuff einer Limousine ("touring car")
verbunden. Teile der Rohre guckten aus den Löchern in der Wand, so dass der Schlauch problemlos angebracht
werden konnte. Nach fünf Minuten kam
Nebe heraus und sagte, dass sich
nichts ereignet hätte. Nach acht Minuten konnte er immer noch kein Ergebnis feststellen und fragte,
was nun zu tun sei.
Nebe und ich kamen zu dem Schluss, dass der Wagen nicht
ausreichte. Deshalb ordnete
Nebe an, dass der Auspuff eines Transportwagens der
Polizei zusätzlich angeschlossen werden sollte. Danach dauerte es nur wenige weitere Minuten bis die Leute
bewusstlos waren. Beide Fahrzeuge liefen dann noch weitere zehn Minuten.
Die Vergasungen in der Kolchose und dem Behindertenheim wurden gefilmt. Dieser Film wurde nach Kriegsende in
Nebes Wohnung in
Berlin gefunden.
Das Ausmaß von
Himmlers Verantwortung hierfür wurde deutlich in
einer anderen Aussage von
Widmann:
"
Nebe wollte die Angelegenheit mit mir besprechen, weil er
Himmler Bericht erstatten musste."
Diese Experimente in Weißrussland waren verbunden mit der Entwicklung der Gaswagen. Tatsächlich brachte
Widmann im
September 1941 Zeichnungen von
Gaswagen mit nach Mogilev. Die Einsatzgruppen, hinsichtlich ihrer Effektivität immer abhängig von
ausreichender Mobiblität, suchten eine tragbare Lösung für ihren Tötungsauftrag.
Eine der zahlreichen Nazi-Umschreibungen für Massenmord war "Evakuierung nach dem Osten". Als sich
Regierungsrat
Karl Friedrich Trampedach vom Reichskommissariat Ostland
über die Deportationen reichsdeutscher Juden nach
Riga und
Minsk beklagte, erhielt er am
13 November 1941
die Mitteilung, dass die Juden ohnehin "weiter nach Osten" geschickt würden. Möglicherweise hatte diese
Umschreibung neben der wörtlichen Bedeutung auch die versteckte Nachricht, dass nämlich das
endgültige Ziel für die "Reichsjuden" eine geplante Vergasungseinrichtung in Mogilev sein sollte, und
Mogilev liegt ja weiter östlich als
Riga und
Minsk.
Ein Schlüssel mag liegen in einer Äußerung
Reinhardt Heydrichs während einer Konferenz über
"die jüdische Frage" in
Prag am
10. Oktober 1941. Er sagte, dass die Chefs der Einsatzgruppen B und C,
Nebe und
Rasch,
"
Juden in Lager für kommunistische Gefangene im Operationsgebiet bringen könnten.
Nach einer Aussage von SS-Sturmbannführer
Adolf Eichmann ist das bereits im Gange.”
Seit
29. September 1941 gab es in der
Dimitrov-Fabrik in Mogilev ein
Arbeitslager für verdächtige Landstreicher. Ähnliche Lager waren in
Vitebsk und
Smolensk geplant.
Vermutlich hat sich
Heydrich auf diese Einrichtungen bezogen.
Während seines Besuches in Mogilev im
Oktober 1941 besprach
Himmler mit
Bach-Zelewski und dem
Kommandeur des Polizeiregiments Mitte,
Max Montua, Alternativlösungen
zu den Erschießungen hinsichtlich der "Lösung der jüdischen Frage".
Himmler versprach schließlich die baldige Einführung anderer
Lösungen, womit sicher die Vergasungstechnik gemeint war.
Ein Vernichtungslager wurde nicht in Mogilev eingerichtet, wohl weil der Transport so vieler Menschen so weit
nach Osten zu große logistische Probleme beinhaltete. Deportationszüge nach
Minsk mussten um den
20. November 1941 auf Grund
von Nachschubproblemen für die Heeresgruppe Mitte gestoppt werden. Soweit man weiß, erreichte nie ein
Zug mit Juden aus dem Reich oder Polen die Stadt Mogilev. Der Mangel an Lokomotiven und Wagen führte zu
Überlegungen, die Juden per Schiff über die Flüsse Pripjet und Dnjepr nach Osten zu bringen. Dies
erwies sich jedoch als nicht durchführbar.
Bis
August 1942 hatte die SS die Idee eines Vernichtungslagers in Mogilev nicht
gänzlich ad acta gelegt. Zu dem Zeitpunkt wurden die im
November 1941 von der
Firma
Topf & Söhne angeforderten Verbrennungsöfen nämlich nicht nach Mogilev, sondern nach
Auschwitz-Birkenau geliefert. Dort wurden die Öfen
in die Krematorien IV und V eingebaut.
In den Lagern der
Aktion Reinhard, nämlich
Belzec,
Sobibor und
Treblinka, war die SS dabei, die Juden des Generalgouvernements
und aus vielen europäischen Staaten zu vernichten, und in
Chelmno wurden die Juden des Warthegaus umgebracht. In
Auschwitz-Birkenau waren die Bunker I und II schon in Betrieb, und Pläne
für größere Krematorien waren weit fortgeschritten. Bei
Minsk
wurden zudem tausende von Juden in
Maly Trostinec ermordet. An etlichen anderen Orten im
besetzten Osten Europas mordeten die Einsatzgruppen. Daher gab es keinen Bedarf mehr für ein Vernichtungslager
in Mogilev. Allerdings waren zeitweilig Gaswagen in der Stadt stationiert.
Im
September 1943 wurde das Arbeitslager in Mogilev aufgelöst. Die Opferzahl
dieses Lagers ist nicht bekannt, weil die SS im
Herbst 1943 die Leichen exhumierte und
einäscherte. Die meisten Opfer verloren ihr Leben in den nahe gelegenen Dörfern
Novopashkovo und
Polykovitshi. Mindestens
7.500 Juden und 1.200 geistig Behinderte aus der Umgebung wurden hier getötet (Schätzungen gehen bis
25-30.000).
Quellen:
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Failure of Plans for an SS Extermination Camp in Mogilev, Belorussia,
Holocaust and Genocide Studies, 7/1, 1997.
Gerlach, Christian.
German Economic Interests, Occupation Policy, and the Murder of the
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Berghahn Books, New York, 2000.
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Reitlinger, Gerald.
The Final Solution – The Attempt to Exterminate the Jews of Europe 1939-1945,
Jason Aronson Inc, Northvale, New Jersey and London, 1987.
Kogon, Eugen; Langbein, Hermann; Rückerl, Adalbert; eds.
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A Documentary History of the Use of Poison Gas, Yale University Press, New Haven and London, 1993.
Arad, Yitzhak.
Belzec, Sobibor, Treblinka - The Operation Reinhard Death Camps,
Indiana University Press, Bloomington and Indianapolis, 1987.
Hilberg, Raul.
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Kershaw, Ian.
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Gutman, Yisrael & Berenbaum, Michael.
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