|
Heydrich |
Reinhard Heydrich wurde am
7. März 1904 in
Halle
geboren undauf den Namen
Reinhardt Eugen Tristan getauft. Sein Vorname "Reinhardt" sollte Synonym werden
(neben
Auschwitz) für die Deportationen, Massenerschießungen
und systematische Ermordung europäischer Juden und Sinti/Roma in
Belzec,
Sobibor,
Treblinka und
Majdanek.
Die Familie Heydrich war kultiviert und fromm. Sein Vater,
Bruno Richard Heydrich,
ein aussergewöhnlich begabter Opernsänger und Musiker, gründete das Konservatorium in
Halle. Der junge Reinhardt genoss eine Ausbildung als Pianist, was ihn lebenslang
begleiten sollte.
Die Heydrichs waren fromme Katholiken unter der protestantischen Mehrheit in
Halle. Sie pflegten den Lebensstil der Oberklasse und genossen einen
privilegierten Status. Heydrich besuchte das Gymnasium, machte Abitur und war bestrebt, sich aufgrund seiner
körperlich schwachen Verfassung sportlich zu verbessern. Das Fechten wurde sein Lieblingssport, er konnte sogar
mehrere Auszeichnungen erringen. Später erlernte er auch das Fliegen.
Von seiner Jugend bis ins Erwachsenenalter wurde er konfrontiert mit Gerüchten über seine jüdische
Abstammung väterlicherseits. Dies gipfelte in einer
Untersuchung,
1932 angeordnet von
Gregor Strasser, und angestiftet von
Rudolf Jordan,
dem
Gauleiter von
Halle-Merseburg. Die NSDAP-Zentrale in
München erhielt einen Bericht.
Jordan's Verdacht war in erster Linie begründet auf der Tatsache, dass
der Vater,
Bruno Heydrich, in "Riemanns Musikenzyklopädie von
1916" beschrieben wurde als "
Heydrich, Bruno,
wirklicher Name
Süss". Der Bericht kam allerdings zu dem Schluss, dass der Name
"
Süss" nicht belastend sei und dass
Bruno Heydrich's Sohn kein "jüdisches Blut" hätte.
Es gab auch Annahmen, dass jüdische Vorfahren mütterlicherseits vorhanden sein sollten. Schlüssige
Beweise konnten aber nicht erbracht werden.
Heydrichs Personalakte (einschließlich des Familienstammbaums), geführt von
Martin
Bormann, ist erhalten geblieben. Der Stammbaum verzeichnet allerdings nur eine Generation der
mütterlichen Linie und zeigt nicht Namen, Herkunft und Geburtsort der Großmutter.
Zu Beginn seiner Karriere als höherer SS-Offizier änderte Heydrich seinen Vornamen in "Reinhard" und versuchte
zu vermeiden, dass sein Name mit einem "t" geschrieben wurde.
Mit 16 schloss sich Heydrich dem örtlichen "Freikorps" an und wurde stark beeinflusst von dem rassischen
Fanatismus der "völkischen Bewegung" und deren Antisemitismus. Zwei Jahre später verließ er
Halle um
1922 eine Karriere als
Marinenachrichtenoffizier zu beginnen. 1926 wurde er Leutnant in der "Admiralstabsleitung der
Marinestation Ostsee". Auf der "Braunschweig" arbeitete er
unter
Wilhelm Canaris. Beide freundeten sich an, wurden später aber Feinde.
Heydrichs Vorstellungen von einer Marinekarriere wurden
1931 von Admiral
Erich Raeder beendet durch die Entlassung aus dem Dienst. Man warf ihm
ehrwidriges Verhalten vor, weil er ein Verhältnis hatte mit der Tochter eines Werftbesitzers obwohl er
verlobt war mit
Lina von Osten, die er später heiratete. Trotz angeblicher
Schwangerschaft weigerte er sich, die Werftbesitzerstochter zu heiraten.
|
Heydrich und Sohn Klaus in Monaco |
Arbeitslos und mit schlechten Optionen trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 544.916).
1931,
mit 27 Jahren, wurde er SS-Mann (Mitgliedsnummer 10.120). Es dauerte nicht lange, da wurde Reichsführer-SS
Heinrich Himmler auf ihn aufmerksam. Heydrich
erwirkte ein Gespräch über die Anstellung als Chef des SD (Sicherheitsdienst), weil
Himmler gerade einen geeigneten Mann dafür suchte. Das Gespräch
fand am
14. Juni 1934 statt, es dauerte 20 Minuten. Man sagt, das Gespräch
hätte lediglich aus einer Frage
Himmlers bestanden: Wie ein Nachrichtendienst
strukturiert sein sollte? Heydrichs schneller und entschlossener Kommentar bezog sich angeblich auf
seine Erfahrungen als Marinenachrichtenoffizier und seine Begeisterung für englische Spionageromane.
Auf diesem Hintergrund konnte er
Himmler einen Entwurf präsentieren, der
auf spontane Begeisterung traf.
Himmler verwechselte allerdings
Heydrichs Funkerausbildung mit einer nachrichtendienstlichen Erfahrung. Heydrichs SS-Karriere konnte beginnen.
Heydrich baute den SD aus zu einem nationalen Netzwerk von Informanten. Er war nun engster Mitarbeiter
Himmlers. Der SD sammelte Unterlagen über Kommunisten, Sozialdemokraten,
Gewerkschaften, Industrielle und Juden; sogar über Parteigenossen und SA-Männer wurden SD-Akten angelegt.
1933, inzwischen SS-Oberführer, wurde er Chef der politischen Abteilung der
Münchner Polizei. Noch im selben Jahr übernahm er die Führung der
politischen Polizei von ganz Bayern.
Zusammen mit
Himmler und
Göring
plante er
1934 den Sturz des SA-Führers
Ernst
Röhm, bekannt unter "Nacht der langen Messer". Von nun an stand die entmachtete SA im Schatten der SS.
Heydrich wurde zum SS-Gruppenführer ernannt. Er hatte sich als rücksichtslos und kaltblütig erwiesen.
1936 wurde Heydrich Leiter der Sicherheitspolizei und des SD für das gesamte Deutsche Reich.
Die politische Polizei der Länder wurde zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) zusammengefasst, unter seiner
Führung. Er baute ein landesumfassendes, auf Terror basierendes Kontroll- und Unterdrückungssystem auf,
das ihm viele Feinde bescherte. "Nacht und Nebel"-Aktionen wurden Normalität in Deutschland: Verhaftungen
ohne rechtsstaatliche Grundlage wurden bereits lange vor dem
7. Dezember 1941
durchgeführt, als diese Praxis eine juristische Grundlage bekam.
Heydrich verfolgte jeden, der sich der SS entgegenstellte, ob real oder nur verdächtig. Betroffen waren z.B.
Feldmarschall
Werner von Blomberg und General
Werner
Freiherr von Fritsch. Als
Hitler einen Vorwand suchte für die
Invasion Polens, fand er in Heydrich den geeigneten Mann. Er organisierte den vorgetäuschten
polnischen Angriff auf den deutschen Radiosender
Gleiwitz (Gliwice). In polnische
Uniformen gekleidete SD-Männer, geleitet von
Alfred Naujocks, verübten
den Angriff. Ermordete Häftlinge des KZ
Sachsenhausen dienten als
vorgetäuschte Opfer. Radio Köln kündigte einen Gegenschlag deutscher Polizei an. Die
BBC
sendete eine Erklärung:
"
Es gab Berichte über einen Angriff auf den Radiosender
Gleiwitz, der genau an der polnischen Grenze
in Schlesien liegt. Die deutsche Nachrichtenagentur berichtet, dass der Angriff heute Abend um ca. 8 Uhr stattfand.
Polen erzwangen sich den Weg ins Studio und sendeten eine Erklärung in polnisch. Es gibt Berichte, dass sie
innerhalb einer Viertelstunde von deutscher Polizei überwältigt worden sind, unter Benutzung von
Schusswaffen. Einige Polen wurden getötet, aber einige sind noch unbekannt."
Hitler täuschte Entrüstung vor und benutzte diesen Vorfall
als Vorwand für die Invasion. Am
1. September 1939 betraten deutsche
Truppen Polen. Der 2. Weltkrieg hatte begonnen.
Gegen
Ende 1939 erweiterte Heydrich die Operationsbasis des SD auf
internationale Spionage und Entführungen. Die
"
Venlo-Affäre": SD-Agenten konnten britische Agenten
davon überzeugen, dass der Generalstab eine Verschwörung plante zum Sturz
Hitlers. Es endete mit der Entführung von zwei britischen Agenten an
der holländischen Grenze und ihrer Überstellung nach Deutschland, angeklagt als Spione.
Heydrich verwertete diesen Vorfall schließlich um
Hitler glauben zu lassen, es bestünde ein Zusammenhang zwischen
den britischen Agenten und einem Attentatsversuch auf Hitler in
München.
|
Heydrich in Himmlers Büro |
Im Zuge der Invasion Polens übernahm Heydrich die Aufgabe, alle
potentiellen Gegner zu eliminieren. Zu diesem Zweck schuf er die "Einsatzgruppen": mobile, im Rücken
der Front operierende Einheiten von SD und Sipo zur Bekämpfung von "Staatsfeinden" (Partisanen,
Kommunisten, Parlamentsangehörige, Intellektuelle) und zur Sicherung der besetzten Gebiete. Juden
befanden sich bereits unter den Opfern, als die Einsatzgruppen noch keine speziellen Befehle erhalten hatten
zur "Behandlung" der jüdischen Bevölkerungsteile.
Heydrich befahl am
21. September 1939 den Kommandeuren der Einsatzgruppen
unter strengster Geheimhaltung, wie sie mit der jüdischen Bevölkerung umzugehen hatten:
"
Die geplanten Maßnahmen erfordern gründlichste Vorbereitung sowohl
in technischer als auch in
wirtschaftlicher Hinsicht. (...) Als erste Vorausnahme für das Endziel gilt zunächst die Konzentrierung der
Juden vom Lande in die größeren Städte. Sie ist mit Beschleunigung durchzuführen. (...) Dabei
ist zu beachten, dass nur solche Städte als Konzentrierungspunkte bestimmt werden, die entweder
Eisenbahnknotenpunkte sind oder zum mindesten an Eisenbahnstrecken liegen. (...) In jeder jüdischen Gemeinde
ist ein jüdischer Ältestenrat aufzustellen, der, soweit möglich, aus den zurückgebliebenen
maßgebenden Persönlichkeiten und Rabbinern zu bilden ist. (...) Er ist im Sinne des Wortes
vollverantwortlich zu machen für die exakte und termingemäße Durchführung aller ergangenen
oder noch ergehenden Weisungen. (...) Die Judenräte haben eine behelfsmäßige Zählung der
Juden – möglichst gegliedert nach Geschlecht (...) und nach den hauptsächlichsten Berufsschichten – in
ihren örtlichen Bereichen vorzunehmen und das Ergebnis in kürzester Frist zu melden. (...) Die
Konzentrierung der Juden in Städten wird wahrscheinlich aus allgemein sicherheitspolizeilichen
Gründen Anordnungen in diesen Städten bedingen, daß den Juden bestimmte Stadtviertel überhaupt
verboten werden, daß sie – stets jedoch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Notwendigkeiten –
z. B. das Ghetto nicht verlassen, zu einer bestimmten Abendstunde nicht mehr ausgehen dürfen,
usw." (W. Benz: "Der Holocaust". München 2001, S.38)
Am
27. September 1939 wurde das Reichssicherheitshauptamt geschaffen, Heydrich wurde der Chef.
Am
22. Juni 1941 begann die Invasion der Sowjetunion ("Unternehmen Barbarossa").
Nun fielen auch die dort lebenden Juden in die Hände der Einsatzgruppen, wobei der für Polen geltende
Plan (Ghettoisierung, Deportationen) geändert wurde:
Im
Juli 1941 wurde Heydrich von Reichsmarschall
Hermann Göring bevollmächtigt, die
"
Endlösung der Judenfrage" durchzuführen. Hierbei taucht
der Begriff "Endlösung" zum ersten Mal auf, im Zusammenhang mit dem systematischen Massenmord an den
europäischen Juden.
Heydrich selbst hatte den Vorsitz der berüchtigten
Wannsee-Konferenz am
20. Januar 1942 in
Berlin. Neben den wichtigsten
deutschen Staatssekretären war auch sein "Judenreferent"
Adolf Eichmann anwesend, der als Sekretär fungierte. Auf dieser Konferenz
sollte die Politik eingebunden werden in die längst beschlossene und begonnene Vernichtung der Juden.
Konferenzprotokolle haben den Krieg überstanden und wurden verwendet im
Eichmann-Prozess in
Jerusalem von
1961-62.
Wesentlicher Bestandteil des Heydrich-Plans war der "Arbeitseinsatz" der Juden im Osten, die damit verbundene
zwangsläufige Dezimierung sowie die Ermordung derjenigen "Reste", die diese Zwangsarbeit überleben würden.
|
Heydrich in Prag |
Ende 1941 wurde Heydrich von
Hitler
zum "Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannt", als Auszeichnung für seine "Verdienste"
bei der Verfolgung und Vernichtung der Juden. Er ersetzte Baron
Konstantin von Neurath.
Dies war auch im Sinne
Himmlers, der ihn lieber im fernen Prag als in
Hitlers Nähe sah.
Assistiert von SS-Gruppenführer
Karl Hermann Frank demonstrierte
Heydrich der tschechischen Bevölkerung schon nach wenigen Wochen, wer die
Herren sind: 200 Zivilisten wurden gehängt, tschechische Kulturvereine verboten, Verhaftungen und Exekutionen
forciert und Juden nach Polen deportiert.
Während seiner Herrschaft im "Protektorat" hielt er sich für den Schirmherrn der bildenden Künste.
Er gab Opern in Auftrag und finanzierte Orchesterveranstaltungen in
Praha (Prag), das er als ein kulturelles Zentrum
in Europa ansah. Parallel dazu ordnete er die Deportation jüdischer Bürger von
Terezin (Theresienstadt)
und anderen Ghettos nach
Riga,
Chelmno und dem gerade fertiggestellten
Belzec an.
Die tschechische Exilregierung beschloss, Heydrich zu beseitigen.
Die Tschechen
Jan Kubis und
Josef Gabcik
trainierten das Attentat, wurden von England nach der Tschechei geflogen, sprangen mit Fallschirmen ab und nahmen
Kontakt auf zum tschechischen Widerstand.
|
Untersuchungen am nächsten Tag |
|
Sein beschädigter Wagen |
Am
27. Mai 1942 gegen 10:30 Uhr erfolgte das Attentat. Heydrich fuhr im
offenen
Wagen durch
Praha, als die Männer angriffen. Die Maschinenpistole versagte, doch
Jan Kubis warf eine Handgranate gegen den Wagen, die am Hinterrad explodierte.
Kubis und
Gabcik konnten fliehen. Der
schwerverletzte Heydrich starb zehn Tage später an einer Infektion seiner
Milz, verursacht durch das Attentat. Er hinterließ
seine Frau und vier Kinder.
Himmler befahl die Absperrung der Stadt bis zur Festnahme der Männer.
Die Jagd auf die Attentäter begann. Die Gestapo versprach eine Belohnung von 10.000.000 Kronen
für Hinweise, die zur Festnahme der Täter führen.
Kubis und
Gabcik versteckten sich in der
Kirche St. Cyril und Methodius in der
Resslova Straße. Ihr Versteck wurde wahrscheinlich verraten, denn
am
18. Juni umzingelten SS und Polizei die Kirche. In der
Krypta in der Falle sitzend, verteidigten sich die beiden Männer bis
zur Dämmerung. Am frühen Morgen nahmen sich
Kubis und
Gabcik das Leben.
Typisch für die Nazis waren die bald folgenden Vergeltungsmaßnahmen. Das gesamte Dorf
Lidice,
zu dem
Jan Kubis angeblich eine Verbindung gehabt haben soll, wurde
auf Befehl
Kurt Dalueges, Chef der Orpo und stellvertretender Reichsprotektor,
abgebrannt und abgerissen, alle Männer erschossen und Frauen und Kinder in KZs deportiert.
Auf der
Beerdigung wurde er von
Hitler und
Himmler gepriesen. Ihm zu Ehren
sollte ein monumentales Grab auf dem Invalidenfriedhof in
Berlin errichtet werden. Dies wurde jedoch nicht
realisiert, weil der Krieg nun wichtiger geworden war als Gedenkstätten.
Heydrich erlebte nicht mehr die von ihm geplante "Endlösung",
doch der fast vollständigen Vernichtung des europäischen Judentums war bereits der Weg geebnet:
Die Vernichtungslager
Chelmno, Belzec und Sobibor waren in Betrieb,
Treblinka war in der Planung.
Bis heute weiß niemand genau, wer für die Bezeichnung "Einsatz Reinhard(t)" oder "Aktion Reinhard(t)"
verantwortlich war. Es kann aber vermutet werden, dass diese Begriffe für den Holocaust im
"Generalgouvernement" und dem Bezirk
Bialystok gewählt worden sind im Andenken an dessen Chefplaner
Reinhardt Heydrich. Ein gewisser Rachegedanke muss dabei ebenfalls angenommen
werden. Ähnlich verhält es sich mit der Bezeichnung "AaH" ("
Attentat
auf
Heydrich")
für den Deportationszug, der
Praha am
10. Juni 1942 verließ und 1.000 Juden nach dem Osten brachte.
Höchstwahrscheinlich erreichte dieser Zug
Majdanek am
12. Juni. Dort wurden etwa 100 Juden für Zwangsarbeit selektiert. Nach einem
weiteren grauenhaften Tag erreichte der Zug seine Endstation, das Vernichtungslager
Sobibor.
Der Aktion Reinhard Chef war tot, seine Nachfolger führten seine Pläne mit Eifer und Effizienz aus.
Zurück blieben Millionen ermordeter Juden und tausende Roma und Sinti.
Quellen:
MacDonald, Callum:
The Killing of Reinhard Heydrich
Richard Breitman:
Holocaust and Genocide Studies Volume 11
G. S. Graber:
The Life and Times of Reinhard Heydrich
Ulric of England:
Reinhard Heydrich Memorial Book
Cowdery and Vodenka:
Reinhard Heydrich Assassination USM Incorporated, 1994
Gerald Reitlinger:
The Final Solution Vallentine, Mitchell and Co ltd., 1953
Enzyklopädie des Holocaust
Wolfgang Benz:
Der Holocaust
© ARC 2004