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Aktion Erntefest

Letztes Update 10. Juni 2006





"Aktion Erntefest" - Deckname für die Massenerschießung aller Juden in den verbliebenen Arbeitslagern im Bezirk Lublin. Dieser letzte Akt der Aktion Reinhard fand im November 1943 statt, persönlich befohlen und geplant von Reichsführer-SS Heinrich Himmler. Zur Rechtfertigung der Aktion gab er Sicherheitsgründe an. Offenbar waren die Aufstände im Bialystok Ghetto (August 1943) sowie in den Vernichtungslagern Treblinka (August 1943) und Sobibor (Oktober 1943) der auslösende Faktor für Himmlers Befehl.

Tatsächlich waren die gefangenen Juden im KZ Majdanek, den Zwangsarbeitslagern im Bezirk Lublin (Trawniki, Poniatowa, Budzyn, Pulawy, Zamosc, Biala Podlaska) und den Lagern in der Stadt Lublin (Lindenstraße 7 (Lipowa Street), Flugplatz und Sportplatz) natürlich keine wirkliche Bedrohung. In diesen Lagern lebten die letzten Überlebenden der liquidierten Ghettos in Warschau, Bialystok, Lublin, Miedzyrzec Podlaski und Rejowiec. Ebenfalls betroffen waren 600 slowakische Juden, die 1942 nach Majdanek deportiert worden waren, sowie in Sobibor selektierte kleinere Gruppen von Juden aus den Niederlanden und Frankreich.

Ab Frühjahr 1943 firmierten die größten Zwangsarbeitslager im Distrikt Lublin unter der Bezeichnung Ostindustrie GmbH (Osti). Diese Gesellschaft war am 13. März 1943 als Gemeinschaftsunternehmen von WVHA in Berlin und dem SSPF Lublin, Odilo Globocnik, gegründet worden um die Arbeitskraft der Juden auszubeuten und sich ihr Vermögen anzueignen. In den Werkstätten der Osti produzierten die gefangenen Juden vorwiegend Ausrüstungsgegenstände für die Deutsche Wehrmacht. Die Maschinen stammten vorwiegend aus ehemaligen Ghettobetrieben, Stoffe und anderes Material aus den Vernichtungslagern. Das von Globocnik geschaffene Netzwerk von Zwangsarbeitslagern im Distrikt Lublin war eines der größten Produktionskomplexe im besetzten Europa: ca. 45.000 Juden mussten hier für die SS arbeiten. Himmler hatte stets die Befürchtung, dass sein "jüdisches Arbeitsimperium" von der Wehrmacht oder der deutschen Industrie übernommen werden könnte.
Um dies zu vermeiden, entschied der Chef des SS-WVHA, Oswald Pohl, am 22. Oktober 1943, dass die Osti-Betriebe, das Zwangsarbeitslager an der Janowska Straße in Lviv (Lwow) und das Lager Plaszow in Krakau vom SS-WHVA übernommen werden sollten, unter der Kontrolle des KZ Lublin (Majdanek).
Die jüdischen Zwangsarbeiter in diesen Lagern waren mehrheitlich der Meinung, dass sie als Spezialisten von den Nazis gebraucht werden und somit überleben konnten. Dies war allerdings nur eine Illusion, denn für die Nazis spielte letztlich die Rassenideologie eine größere Rolle als wirtschaftliche Aspekte.

Sporrenberg
Himmler und Globocnik kalkulierten einen jüdischen Widerstand bei der geplanten Liquidierung der Lager ein. Daher wurde die Aktion Erntefest geheim geplant und schließlich urplötzlich in allen Lagern gleichzeitig durchgeführt.
Nach Aussagen Jakob Sporrenbergs, Nachfolger von Globocnik als HSSPF (Höherer SS- und Polzeiführer) im Distrikt Lublin im September 1943, wurde bereits im August 1943 über eine Aktion zur Vernichtung der Juden in den Arbeitslagern nachgedacht. Friedrich Krüger, SS- und Polizeichef im Generalgouvernement, wurde zur gleichen Zeit von Himmler über eine geplante Aktion informiert. In der zweiten Oktoberhälfte 1943 beschloss Himmler endgültig, die Zwangsarbeiter in den Lagern umzubringen.

Einige Tage vor dem Erntefest wurde den Häftlingen befohlen, Gräben auszuheben. Man sagte ihnen, es seien Luftschutzgräben. Unter den Juden machten Gerüchte die Runde, dass etwas Besonderes in der Luft läge. Kaum jemand glaubte allerdings an eine Auflösung der Lager, denn kurz vorher hatten die Werkstätten von Schultz in Trawniki und Toebbens in Poniatowa noch neue Aufträge erhalten. Im Lager "Flugplatz" in Lublin lagen noch Berge von Kleidung der in den Vernichtungslagern Getöteten.

2.000-3.000 SS-Männer und Polizisten (z.B. das Polizeibatallion 101) wurden von Auschwitz, Poznan (Posen) und Kaliningrad (Königsberg) nach Lublin abkommandiert, um 15.000 Juden in Poniatowa, 8.000 in Majdanek, 6.000 in Trawniki und tausende anderer Juden in den Lagern in Lublin und anderswo umzubringen.
Eine letzte Besprechung zur Durchführung der Aktion wurde am Vorabend in Lublin abgehalten. Christian Wirth, Inspekteur der Aktion Reinhard, war aus Trieste zurückgeholt worden um die Aktion zu beaufsichtigen. Er war möglicherweise auch bei den Erschießungen in Majdanek anwesend.

Am frühen Morgen des 3. November 1943 wurden die Lager in Majdanek und Trawniki von SS und Polizei umstellt. Der Morgenappell der Häftlinge war diesmal kürzer als sonst. Die nichtjüdischen Häftlinge wurden zurück in die Baracken befohlen, die Juden mussten nach Feld 5 des Lagers gehen, in der Nähe des Krematoriums und der ausgehobenen Gräben. Zur selben Zeit wurden die Häftlinge der Arbeitslager in Lublin (Lipowa Str.7, Flugplatz und Sportplatz) nach Majdanek gebracht.
Im Feld 5 schloss man die Juden in den Baracken ein. Eine diente zum Entkleiden und Abliefern der letzten Wertsachen. In Gruppen von 100 mussten die nackten Menschen schließlich nach den Gräben laufen und sich auf die Toten oder Verwundeten legen um sogleich selbst von den Maschinengewehren getroffen zu werden.
Während der Massenerschießung wurden die Schüsse und Schreie übertönt von zwei Lautsprecherwagen, die Märsche und Walzer von Johann Strauss abspielten.
Dieser Tag im KZ Majdanek wurde später "Schwarzer Mittwoch" genannt. Die Ereignisse wurden beschrieben von nichtjüdischen Lagerinsassen, die die Schüsse und Schreie trotz der Lautsprechermusik hören konnten. Bis zu 3 - 4 km Entfernung konnten auch lubliner Bürger die Musik, Schüsse und Schreie hören und bezeugen. Alle Lubliner litten unter dem Rauch und Gestank der anschließenden Verbrennung der Leichen.
Während der Exekutionen gab es auch einen Akt des Widerstandes. Die in einer Baracke in Feld 5 eingeschlossenen jüdischen Frauen sahen plötzlich die aus dem Lager Lipowa Straße 7 eingetroffenen jüdischen Kriegsgefangenen und begannen zu schreien und um ihr Leben bitten. Da begannen einige der Kriegsgefangenen ihre Bewacher anzugreifen. Drei SS-Männer wurden getötet oder verwundet, die jüdischen Kämpfer anschließend auf der Stelle erschossen. Viele der in den Baracken eingeschlossenen Juden kollabierten, und die jüdischen Ärzte und Schwestern des Krankenreviers nahmen sich das Leben.
Am Ende der Erschießungen ließ die SS etwa 400 Juden am Leben und brachte sie in das Feld 4. Die Frauen unter ihnen mussten nun die Habe der Erschossenen sortieren. Die Männer wurden in Gruppen eingeteilt und gezwungen, den Leichen die Goldzähne zu ziehen und anschließend zu verbrennen.
Die Erschießungen dauerten von 6:00 morgens bis 17:00 Uhr. Sie verliefen nach einem genau festgelegten Schlachtplan. Sporrenberg bzw. Hermann Höfle, die in Sporrenbergs Büro Quartier bezogen hatten, erhielten stündliche Berichte über die Zahl der Erschossenen (16.000 - 18.000).
Nachdem alle Leichen verbrannt worden waren, brachte man die jüdischen Häftlinge nach anderen Orten mit Massenerschießungen im Distrikt Lublin. Auch dort mussten sie Leichen aus Massengräbern holen und verbrennen. Dieses Sonderkommando wurde wahrscheinlich in Poniatowa oder Chelm erschossen. Zwei Männer konnten allerdings flüchten: Josef Reznik und Josef Sterdyner. Im März 1944 wurden die von den 400 selektierten Juden noch lebenden Frauen des Sonderkommandos nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Dabei konnte Ida Mazower flüchten; alle anderen kamen in den Gaskammern um. Der vierte Überlebende des Erntefestes in Majdanek, Chaim Zacharewicz aus Bialystok, wurde in das Gestapo-Gefängnis in Lublin eingeliefert. Er überlebte sogar die letzte Exekution in diesem Gefängnis im Juli 1944.

Am 3. November 1943 ermordete man 2.000 Juden im Lager Szebnie (bei Jaslo, Bezirk Krakau). Sie waren bei der Deportation der krakauer Juden nach Belzec selektiert worden und mussten nun ihr Leben in einem Waldstück bei Szebnie lassen. 800 verbliebene Juden aus Szebnie wurden schließlich nach Auschwitz-Birkenau deportiert.

Ebenfalls am 3. November 1943 wurde das Zwangsarbeitslager in Trawniki liquidiert.
Die Gefangenen wurden an der Grenze zum SS-Ausbildungslager erschossen, zusammen mit den Insassen des Lagers Dorohucza. Unter den Gefangenen befanden sich auch Mitglieder des jüdischen Widerstandes. Wegen des überraschenden Termins des Erntefestes konnten sie sich nicht formieren, und es kam nicht zum Widerstand.
Die Einwohner Trawnikis beobachteten die Exekutionen von ihren Häusern aus. Daher stammen die meisten Zeugenaussagen von ihnen. Auch in Trawniki selektierte die SS ein Sonderkommando von 200 Juden für das Verbrennen der Leichen. Es sind nur zwei Männer bekannt, die diesem Kommando entfliehen konnten. Insgesamt wurden hier etwa 10.000 Juden erschossen.
In der Nähe Trawnikis gab es 1943 ein kleines Lager im Dorf Milejow. Etwa 200 Gefangene stellten in der örtlichen Marmeladefabrik Nahrungsmittel für SS und Wehrmacht her. Dieses Lager wurde nicht am 3. November liquidiert. Eine kleine Gruppe Gefangener kam nach Auschwitz, die anderen schickte man nach Trawniki. Dort brachte die SS sie Ende 1943 zusammen mit den Mitgliedern des Sonderkommandos um.

Am 4. November 1943 fand das Erntefest in Poniatowa und kleineren Lagern im Kreis Pulawy statt. In Poniatowa ermordete die SS etwa 14.000 Gefangene. Es kam auch hier zu vereinzelten Widerstandsaktionen, wobei z.B. einige Baracken von jüdischen Widerstandskämpfern in Brand gesetzt wurden. Nur zwei Überlebende dieser Exekutionen sind bekannt.
Bei der Liquidierung des Lagers in Pulawy (nahe des örtlichen Sägewerkes) kam es auch zu Widerstandsaktionen. Eine Gruppe von ca. 400 Gefangenen (unter ihnen auch jüdische Kriegsgefangene aus dem Lager Lipowa Str. 7 in Lublin und Juden aus der Slowakei) kämpfte gegen die SS. Dabei konnten mehrere Juden entfliehen; ihr Schicksal ist allerdings unbekannt.
Etwa 100 jüdische Häftlinge eines kleinen Lagers nahe des Bahnhofes von Naleczow wurden zur selben Zeit ermordet.

Weitere Exekutionen fanden in Galizien statt. Am 13. und 14. November 1943 wurde das Lager an der Janowska Straße in Lviv (Lwow) vom Erntefest heimgesucht. Etwa 4.000 Juden erschoss man in den "Sänden", einem Platz, der bereits zwischen 1942 und 1943 als Erschießungsort für Juden aus dem Ghetto Lviv diente. Während der Erschießungen gab es jüdischen Widerstand und einige Menschen konnten entkommen.

Im Bezirk Radom wurden die Arbeitslager nicht vollständig liquidiert. Hier arbeiteten tausende Juden vorwiegend für die Hasag-Werke. Nur zwei Lager gehörten zur Osti: Das Lager an der Szkolna Straße in Radom und das Lager in Blizyn. Als Folge von Verhandlungen zwischen der SS und der deutschen Industrie gehörten alle Lager (mit ca. 25.000 Juden) im Bezirk Radom zur Aufsichtsbehörde für Versorgung im Generalgouvernement. Hier gab es im November 1943 eine Welle von Selektionen, wodurch hauptsächlich Frauen und Kinder zum Tode bestimmt wurden. Nur die noch arbeitsfähigen Juden durften in den Lagern verbleiben.

Die Aktion Erntefest erstreckte sich nicht auf die zur Luftwaffe gehörigen Arbeitslager. Das größte Lager war in Budzyn (bei Krasnik), in dem 3.000 Juden für die Hermann Göring-Werke arbeiteten. Das Lager Budzyn stand unter der persönlichen Aufsicht des SS- und Polizeiführers im Distrikt Lublin und war ein Nebenlager Majdaneks. 300 Juden, die dort bis Juli 1944 arbeiteten, konnten den Holocaust überleben. Andere jüdische Zwangsarbeiter überlebten auch in Deblin, Biala Podlaska und Malaszewicze, weil diese Lager ebenfalls bis zum Kriegsende der Luftwaffe unterstellt waren.

Bei der Aktion Erntefest sind 42.000 Juden in zwei Tagen ermordet worden.


Quellen:
Archiv des Staatlichen Museums Majdanek in Lublin

Archiv des Jüdischen Historischen Institutes in Warschau

Regionale Kommission für die Untersuchung von Nazi-Verbrechen in Polen, im Archiv des Institutes für Nationale Erinnerung in Lublin

Christopher R. Browning: Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and Final Solution in Poland. HarpersCollins Publishers 1998. (Polnische Ausgabe: Zwykli ludzie. 101. Policyjny Batalion Rezerwy i 'ostateczne rozwiazanie' w Polsce. Warszawa 2000.)

Helge Grabitz; Wolfgang Scheffler: Letzte Spuren. Ghetto Warschau, SS-Arbeitslager Trawniki, Aktion Erntefest. Berlin 1988

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