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Christian Wirth

Letztes Update 28. Oktober 2005

Wirth *
Christian Wirth wurde am 24. November 1885 in Oberbalzheim, (Württemberg) geboren. Er war zuerst Tischler, ab 1910 Polizist. Am 1. Weltkrieg nahm er als Soldat teil. Ab 1917 war er bei der Militärpolizei. Nach dem Krieg war er einige Jahre als Bauunternehmer tätig, wechselte in den 30er Jahren aber zur Kripo Stuttgart (Mordkommission), wo er sich durch seine brutalen Verhöre hervortat.

Wirths SS-Personalbogen
Wirths SS-Personalbogen *
Wirth war Mitglied der NSDAP (1931), SA (1933), SD (1937) und SS (1939 / Mitgliedsnr. 345.464). Bereits Ende 1922 war er zum ersten Mal in die NSDAP eingetreten.
1939 wurde er zum Kriminalkommissar bei der Kripo Stuttgart befördert. Als Kriminaloberkommissar der Polizei und SS-Obersturmführer trat er im Oktober 1939 in die T4-Organisation ein und nahm seine Tätigkeit an der Euthanasie-Anstalt Grafeneck Grafeneck auf.
In Grafeneck traf Wirth auf Josef Oberhauser. Dieser arbeitete im Anstalts-Krematorium und wurde später sein Adjutant in den Vernichtungslagern der Aktion Reinhard. Kurt Franz, späterer Kommandant von Treblinka, war Küchenchef in Grafeneck.

Um die Jahreswende 1939/40 wurde Wirth nach Brandenburg versetzt, wo ein Teil des ehemaligen Zuchthauses in eine Euthanasie-Anstalt umgebaut worden war. Dort richtete er den Bürobetrieb ein und leitete die erste Probevergasung, bei der geisteskranke Zuchthäusler mit CO-Gas umgebracht wurden. Philipp Bouhler und Viktor Brack, beide von der KdF (Kanzlei des Führers), beobachteten die Vergasung. Bouhler machte daraufhin den Vorschlag, die künftigen T4-Gaskammern als Duschräume zu tarnen.
Kurze Zeit später kehrte Wirth nach Grafeneck zurück und wurde Mitte 1940 zum Inspekteur aller Euthansie-Anstalten in Deutschland und Österreich ernannt. Danach leitete er das "Standesamt" der Euthanasie-Anstalt Hadamar.
Franz Stangl, späterer Kommandant von Sobibor und Treblinka, traf Wirth zuerst in der Euthanasie-Anstalt Hartheim. In einem Interview (1971) mit Gitta Sereny sagte er, dass "Wirth ein ordinär aussehender Mensch mit einem rot unterlaufenen Gesicht" war, und sein Mut sank, als er ihn zum ersten Mal sah.

Im Juli 1941 schickten ihn Brack und Bouhler nach Lublin um ein neues Euthanasie-Zentrum einzurichten, das erste außerhalb des "Reiches". Das Projekt wurde allerdings nicht verwirklicht.
Wirths Aktivitäten in dieser Zeit sind ungeklärt. Kurz vor Weihnachten 1941 tauchte er jedoch in Belzec auf, einem kleinen Dorf in der südöstlichen Ecke des "Generalgouvernements". Mit ihm zusammen kam eine kleine Gruppe ehemaliger T4-Männer dort an. Erich Fuchs, Fahrer und Kfz-Mechaniker, sagte aus:
"Eines Tages, im Winter 1941/42, stellte Wirth einen Transport zusammen. Ich wurde zusammen mit 8-10 Männern ausgesucht und in einem von drei Lastwagen nach Belzec gebracht. In meiner Gruppe waren Borowski, Niemann, Graetschus und Barbel."

Wirth *
Wirth war der erste Kommandant von Belzec. Er sagte den SS-Männern, dass in Belzec alle Juden umgebracht werden sollten. Viele SS-Männer in Belzec nannten ihn "Christian den Grausamen". SS-Mann Ernst Zierke: "Wirth ging über Leichen."
In Belzec entwickelte Wirth die Struktur des Lagerpersonals und die brutale Methode, wie die Massenvergasungen auszuführen seien. Josef Oberhauser sagte über ihn, dass er sich durch eiserne Härte, bedingungslosen Gehorsam, Glaube an den "Führer", absolute Herzlosigkeit und Unbarmherzigkeit auszeichnete.
Wirth suchte persönlich 80-100 junge und kräftige Männer aus den ersten Transporten aus, die den Kern des zu bildenden jüdischen Arbeitskommandos bildeten. Ein jüdischer Kommadoführer und zwei jüdische "Oberkapos" leiteten es und beaufsichtigten die einzelnen Arbeitsbrigaden, die auch von wechselnden "Kapos" angeführt wurden.
Wirth instruierte die "Kapos" über die Pflichten der Arbeitsbrigaden und ihre Rolle im Vernichtungsprozess. In den ersten Tagen des Lagers begrüßte Wirth die eingetroffenen Juden auf der Rampe und teilte ihnen mit, dass sie vor der weiteren Umsiedlung erst einmal ein Bad nehmen müssten. Oft klatschten die neu Eingetroffenen Beifall.
SS-Mann Kurt Gerstein, Abteilungsleiter "Technische Desinfektion in der Gesundheitstechnik" der Waffen-SS, besuchte Belzec im Spätsommer 1942 auf Anordnung von SS-Sturmbannführer Günther. Er sollte eine Methode entwickeln zur Desinfektion der anfallenden Kleidung und zur Verbesserung der Vergasungsmethode (Blausäure oder CO-Gas bzw. Abgase von Motoren).
Im Mai 1945 beschrieb Gerstein den Vernichtungsprozess:
"Ein Transport mit Juden aus Lviv (Lwow / Lemberg) kam in Belzec an und wurde nach den Gaskammern geschickt. Wirth, auf der Rampe stehend, peitschte einer etwa 40jährigen Jüdin 5 oder 6mal ins Gesicht und jagte sie in die Gaskammer. SS-Unterscharführer Hackenholt versuchte den Dieselmotor (?) zu starten, er sprang aber nicht an. Kommandant Wirth kam vorbei. Er wurde ärgerlich und verpasste dem Ukrainer, der Hackenholt half, 11 oder 12 Schläge mit der Peitsche ins Gesicht. Nach 2 Stunden und 49 Minuten sprang der Dieselmotor (?) an...
Hauptmann Wirth bat mich, in Berlin keine Änderungen seiner Anlagen vorzuschlagen und alles so zu lassen, wie es wäre und sich bestens eingespielt und bewährt habe. Die Blausäure habe ich unter meiner Aufsicht vergraben lassen, da sie angeblich in Zersetzung geraten sei.
"

Einer der wenigen Überlebenden von Belzec, Rudolf Reder, begegnete Wirth auch. Er beschrieb ihn als einen großen, breitschultrigen Mann, Mitte 40 und mit einem ordinären Gesicht. Ein geborener Krimineller, "die extreme Bestie".
Die ukrainischen Trawniki-Männer bezeichneten Wirth als "Stuka", denn so wie diese berüchtigten Sturzkampfbomber der Luftwaffe tauchte auch Wirth gern aus dem Nichts auf, um schreiend Angst und Schrecken unter der SS-Lagermannschaft zu verbreiten. Bei den anschließenden Disziplinierungsmärschen außerhalb des Lagers lief er vorweg, gefolgt von Niemann, Oberhauser, Schwarz und Franz.
Chaim Hirszmann gab an, dass sämtliche Kinder und Säuglinge eines Transportes noch lebend in einer großen Grube vergraben worden sind.
Als die Aktion Reinhard auf Hochtouren lief, zeigte sich Wirths Brutalität mehr und mehr. Der SS-Mann Werner Dubois, der in Belzec und Sobibor "tätig" war, sagte aus:
"Wirth war mehr als brutal. Meiner Meinung nach entsprang seine Brutalität mehr seiner Natur als seiner politischen Einstellung. Er brüllte, schrie und bedrohte uns, und schlug Männer der deutschen Lagerbesatzung ins Gesicht. Außer Oberhauser gab es keinen in Belzec, der nicht vor Wirth Angst hatte."

Als Oberhauser im Juni 1942 nach Belzec zurück kam, fand er das Lager in einem ungeordneten Zustand vor. Nur etwa 20 Ukrainer waren noch dort, befehligt von SS-Scharführer Feix. Wirth war verschwunden. Oberhauser gab an:
"Ich entdeckte, dass Wirth über Lemberg und Krakau nach Berlin abgereist war, ohne Odilo Globocnik darüber zu informieren. Dieses Verhalten zeigt, dass er Globocnik nicht als seinen Vorgesetzten betrachtete, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt."
Der Grund für seine plötzliche Abreise von Belzec ist nie befriedigend erklärt worden. Möglicherweise wurde er nach Berlin zitiert, um Instruktionen für die anstehende Hauptphase der Aktion Reinhard entgegen zu nehmen.
Am 1. August 1942 übernahm SS-Obersturmführer Gottlieb Hering, Wirths Polizeikollege seit mehr als 20 Jahren, das Kommando in Belzec.
Wirth wurde von Globocnik zum "Inspekteur der SS-Sonderkommandos Aktion Reinhard" ernannt. Er bezog zwei Räume im Hauptquartier der Aktion Reinhard, der Julius Schreck Kaserne in Lublin.

Wirths erste und wichtigste Aufgabe war nun die Neuordnung des Lagers Treblinka, dessen Vernichtungsmaschinerie aufgrund des inkompetenten Kommandanten Dr. Irmfried Eberl zusammengebrochen war. Wirth traf am 19. August 1942 in Treblinka ein. Er zog Franz Stangl aus Sobibor ab und übertrug ihm die Leitung des Lagers. Gleichzeitig reorganisierte er den gesamten Ablauf des Tötens, entsprechend seiner in Belzec gemachten Erfahrungen. Globocnik befahl die Einstellung aller Deportationstransporte aus dem Warschauer Ghetto, um durch diese Pause die Neustrukturierung des Lagers und die Beseitigung der Leichenberge zu ermöglichen. Er befahl die Vergrößerung der Tötungs-Kapazität und trug Wirth auf, sich sofort zu melden, wenn das Lager weitere Transporte aufzunehmen bereit war.
Wirth ordnete den Bau größerer Gaskammern an. Hackenholt, der von Wirth aus Belzec geholt worden war, entwickelte die Pläne. Erwin Lambert, der T4 Gaskammer-Baumeister, verwirklichte sie und ließ (höchstwahrscheinlich) zehn größere Gaskammern bauen.
Nachdem Treblinka wieder funktionierte, besuchte Wirth das Lager Sobibor. Auch hier gab es "Kapazitätsprobleme". Er übertrug wiederum Hackenholt und Lambert den Bau größerer Gaskammern.

Wirth's House at the Airfield Camp
Wirths Haus im Flugplatz-Lager
Im Dezember 1942 wurde Wirth mit dem Bau und der Leitung von Zwangsarbeitslagern für die DAW (Deutsche Ausrüstungswerke im Distrikt Lublin) beauftragt. Kurz vor Weihnachten 1942 bezog er ein zweistöckiges Haus an der Chelmska-Straße in Lublin, an der nordwestlichen Ecke des aufgegebenen Flugplatzes. Die Räume im Erdgeschoss wurden als Büros von Wirth, Oberhauser, Hausler und einigen Sekretärinnen genutzt. Im Obergeschoss befanden sich Wirths Wohnräume sowie ein Speisesaal.

Hier, im "Flugplatz-Lager", wurden drei Hangars als Depot und Sortierplatz für die Berge von Kleidung, Wertsachen und sonstigen Habseligkeiten der während der Aktion Reinhard ermordeten Juden benutzt. In etlichen Baracken und Werkstätten schufteten Juden für den SS-Betrieb Bekleidungswerke der Waffen-SS, Außenstelle Lublin. Etwa 50 m hinter Wirths Haus befand sich ein SS-Produktionsbetrieb für Dachpappe. Der SS-Mann Erich Bauer sagte aus, wie die dort arbeitenden Juden behandelt wurden:
"Ich habe selbst gesehen und kann mich sicher erinnern, wie die dort arbeitenden Juden den frischen, heißen Teer mit bloßen Händen auf die Pappe streichen mussten. Ich sah auch, wie sich das rohe Fleisch von ihren Fingern löste, so dass die nackten Knochen zu sehen waren. Ich bin überzeugt, dass all diese Menschen an ihren schweren Verbrennungen gestorben sind. Ich kann mich an diese Arbeit mit der Dachpappe gut erinnern, weil ich mich damals so darüber aufregte und Wirth mir deswegen mit seiner Peitsche ins Gesicht schlug."

Wirth's Funeral
Wirths Begräbnis *
Im Juni 1943 wurde Wirth zum SS-Sturmbannführer vorgeschlagen, im Sommer 1943 befördert. Nach dem Aufstand in Treblinka (2. August 1943) fuhren Globocnik, Stangl und Wirth zusammen mit anderen SS-Männern der Aktion Reinhard in einem Lastwagenkonvoi nach Triest in Italien. Dort bezog Wirth sein Hauptquartier in der Via Martine. Ein KZ wurde in der alten Reismühle von San Sabba eingerichtet. Lambert baute eine kleine Gaskammer und ein Krematorium, worin die verbliebenen Juden in der Region Trieste vernichtet werden sollten.

Wirth kehrte vorübergehend im November 1943 nach Lublin zurück. Dort beteiligte er sich an der endgültigen Vernichtung der jüdischen Zwangsarbeiter in den Lagern des Distrikts Lublin, der "Aktion Erntefest". Sporrenberg, Nachfolger von Globocnik als "HSSPF Lublin", gestand in Nachkriegs-Verhören, dass Wirth von Globocnik als Leiter der Aktion eingesetzt worden war.

Am 26. Mai 1944* wurde Wirth durch jugoslawische Partisanen im Straßenkampf tödlich verwundet. Franz Stangl sagte später aus, dass er Wirths Leiche gesehen hätte. Wirth wurde auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Costermano bestattet.

Fotos:
GFH *
Tregenza Sammlung *
Gedenkstätte Grafeneck *
Axis History Forum *

Quellen:
Michael Tregenza: Belzec Death Camp. Wiener Library
Michael Tregenza: Zeszuty Majdanka, Lublin 1992&1993
Routledge: Who’s Who in Nazi Germany
Gitta Sereny: Into that Darkness
Arad: Belzec, Sobibor, Treblinka
Personal File of Christian Wirth - BDC
Thomas Stöckle: Grafeneck 1940

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